David Bowie lebt wieder in der Stadt, also fast: Chris Corner alias IAMX gibt ihn als Ersatz. Und Lukas Sherfey bleibt auch hier einfach Mod

Viele Wege führen nach Berlin. Und einige gute Gründe. Der von Chris Corner war, weit weg und unabhängig von der Musikindustrie zu sein. Das allerdings war ihm auch vorher schon ganz gut gelungen. Hatten die von Corner im Norden Englands gegründeten Sneaker Pimps, im TripHop-Hype Mitte der Neunziger ein wenig bekannt geworden, doch anschließend ein erstaunliches Talent bewiesen, zur richtigen Zeit das Falsche zu tun. Mit Hilfe von internen Querellen und einigen Unterschriften bei Plattenfirmen, die kurz darauf Pleite gingen oder umstrukturiert wurden, verschwand man in der Obskurität. Aufgelöst ist die Band bis heute nicht offiziell, aber die verbliebenen Mitglieder widmen sich offensichtlich intensiver ihren Soloprojekten.

Gitarrist und Sänger Corner verschlug es nach Berlin, wo er unter dem Projektnamen IAMX seitdem düsteren Electro-Pop produzierte. Diese, die Klischees eines winterschweren Berlins reproduzierende Grundstimmung, ist aber auf dem dritten Album „Kingdom of Welcome Addiction“ deutlich aufgehellt. Eine neue Wärme strahlen die Songs aus, das Pathos wirkt lange nicht mehr so unnahbar. Die Elektronik müht sich um leichter verdaubare Klänge, den Gitarren wird eine größere Rolle zugestanden und zusätzliche Streicher vertreiben die bislang gewohnte Kühle. Getrübt wird die positivere Ausrichtung allerdings durch einen etwas vermufften Kunstanspruch: Denn Corner schreibt nicht nur die Musik, sondern entwirft Bühnenbilder für seine Auftritte und schmeißt sich zudem gern in Fantasieuniformen. Im Gesamtkunstwerkergebnis wirkt er bisweilen wie jemand ungleich Berühmteres, der dereinst auch mal als Exilant in Berlin lebte: David Bowie allerdings hatte Federn und Schminke abgelegt, als er 1976 in die Mauerstadt kam.

Eine vollkommen andere Version von Glamour bevorzugt Lukas Sherfey. Für den ebenfalls in Berlin lebenden dänischen Musiker gibt es nur eine einzige gelungene Verkleidung: Schlichter Anzug, dünne Krawatte und ein einfacher Parka. Denn Sherfey ist Mod, seine ehemalige Band The Movement galten als astreine The-Jam-Epigonen. Und auch mit seinem Solodebüt „Soul Vacation“ begibt sich Sherfey auf die Spuren seines unüberhörbaren Idols Paul Weller.

Diese Reise in die Vergangenheit wird unterstützt von knarzenden Bläsern und flirrenden Rickenbacker-Gitarren, ist vor allem aber geprägt von geradezu herzzerreißender Naivität. Sherfey tut nicht nur so, als sei es ungefähr 1968, ihm gelingt es weitgehend, allein die verklärende Sicht auf diese Epoche noch einmal neu und ungebrochen zu bebildern. Dazu gelingen ihm einige berückende Melodien im Stil der Zeit und vor allem ein warmer, heimeliger Sound, der an eine Mono-Aufnahme erinnert. Das Erstaunlichste an „Soul Vacation“ ist aber wohl, wie unbeleckt von modernen Einflüssen man in Millionenstädten bleiben kann. Denn warum man von Kopenhagen nach Berlin ziehen muss, um weiter so andächtig in der Vergangenheit zu wühlen, das wird wohl das Geheimnis von Lukas Sherfey bleiben. THOMAS WINKLER

■ IAMX: „Kingdom of Welcome Addiction“ (61seconds/Soulfood)

■ Lukas Sherfey: „Soul Vacation“ (The Movement Records/Rough Trade), live am 21. 5., Lido