: Falsch und wunderschön
Prunksters (13) – die wöchentliche Kolumne aus den USA von Henning Kober. Heute: Linus Style
Es ist Weihnachten, und schaue ich aus meinem Fenster, dann ist es ein weißes Weihnachten. Auf der Straße liegt eine dicke Schicht Streusalz. Von hier oben sieht das schön aus. Ruth, die über mir wohnt und eine verwitwete Hippie-Frau ist, spielt sehr laut Mariah Carey, „All I Want For Christmas“.
Antoines Stimme am Telefon schlägt Salti. Er hat sich einen Robosapien zum Geschenk gemacht. „Tanzt wie King Michael, ich bring ihm alles bei.“ Seine vergessliche Großmutter hat die Goldfische verhungern lassen. Hung sprüht seinen Weihnachtsbaum aus Plastik um. „Purpur ist das neue Pink.“ In Kalifornien liegt Billy unter einem Orangenbaum. Er erzählt eine lustige Weihnachtsgeschichte, passiert an einem Heiligabend in den frühen Achtzigern. Billy arbeitete für den Telefonservice im Studio 54. „Brauche meine Nasenmedizin. Schick UPS overnight.“ Die Nachricht war von Truman Capote für Steven Rubell. Auf Hawaii am Secret Beach liegen Jacob und Serge, lachen. Neben uns filmt eine Frau ihren Ehemann. Ihm haben wir vor „’ner Stunde Deep Purple verkauft“. Moses dreht in Tijuana einen Weihnachtsfilm, seine Rolle: Maria, die aber „mehr wie Holly Golightly angelegt ist“. Dr. Dodge trägt einen schwarz-weißen Mantel im Café Schiller und schreibt in sein Notizbuch. Alberto spielt Roulette in Atlantic City. Blake hat sich rosa Kontaktlinsen gekauft. Coco und Igor mailen für den Abend eine Einladung ins „Happy Ending“. In der Post ein Geschenk von Jonathan. Von der Schallplatte singt Nick Drake. Cameron Bright wird in seinem neuen Film von Milla Jovovich beschützt.
Aus Amsterdam eingeflogen ist mein Freund Sebastian, er malt mir ein Bild. Wir schauen das Geschenk des großen Prunksters Charles M. Schulz. „A Charlie Brown Christmas“ von 1965, der erste Film. Lucy beauftragt Charlie, für ihr Krippenspiel einen Baum zu besorgen. Er stellt wie immer die großen guten Fragen: „Worum geht es eigentlich an Weihnachten?“ Linus hat eine kluge Antwort, er zitiert aus der Bibel Lukas 2, 10–11. Übersetzt: Wir feiern die Geburt eines Kindes, das den Menschen Hoffnung gibt. Dann steckt er einen Finger in den Mund und kuschelt an seiner Schmusedecke.
Von oben singt noch immer Mariah Carey, Autorepeat. Ich wünsche mir, dass jeder eine Schmusedecke hat. Weihnachten ist falsch, gefährlich und wunderschön.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen