Bettina Gaus über FERNSEHEN
: Von manchem reicht, wenn es da ist

Das Fernsehen bedient auch die Sehnsucht nach Althergebrachtem: Harald Schmidt soll wieder aussehen wie früher

„Weil ich will, dass es da ist“, antwortete die Tochter jahrelang auf meine gereizten Fragen, weshalb ich eigentlich jeden Morgen in aller Herrgottsfrühe aufstehen müsse, um ein Frühstück zuzubereiten, das dann unberührt stehen blieb. Sie hat es nicht so mit dem Frühstücken, dafür schätzt sie Regelmäßigkeit und Rituale umso mehr. Kinder sind so. Erwachsene auch.

Ich muss „Sissi“ an Weihnachten nicht gucken, ich weiß, wie die Geschichte ausgeht (im Leben schlechter als im Fernsehen). Auch die „Feuerzangenbowle“ brauche ich nicht zu sehen, nicht den „kleinen Lord“ und schon gar nicht „Vom Winde verweht“. Aber ich will, dass sie da sind. Eine Zeit lang glaubte ich, das selbst steuern zu können. Vor vielen Jahren, als die Menschen noch in Höhlen lebten und Videorekorder der letzte Schrei waren, da habe ich all diese Filme aufgenommen, Und danach nie wieder angeschaut. Es war nicht mehr nötig – sie waren ja nun da. Dachte ich.

Dann habe ich begriffen, dass manche Sachen sich nicht konservieren lassen. Sissi muss an Weihnachten mit ihrem Franz tanzen, zu einem von den Programmplanern vorgesehenen Zeitpunkt. Sonst kann sie es lassen. Mit dem Fernsehen ist es wie mit Christstollen und Osterhasen: Manches schmeckt nur zu seiner Zeit.

Leute, die eine Generation älter sind als ich, haben das Ende des familiären Zusammenhalts und des christlichen Abendlandes prophezeit, als das Weihnachtsprogramm immer attraktiver wurde. Sie erkannten noch nicht, dass das Medium nicht nur Wünsche nach Neuigkeiten und Sensationen erfüllt, sondern auch die Sehnsucht nach dem Althergebrachten stillen kann. Deswegen ist es ganz wunderbar, dass sich Harald Schmidt uns allen als Weihnachtsgeschenk präsentiert hat.

Ja, seine Gags waren etwas abgestanden und allzu häufig selbstreferentiell. Was soll’s? Hauptsache, er ist wieder da. Schmidt scheint das selbst ganz ähnlich zu sehen. Die jüngste Sendung erweckte den Eindruck, er wollte bei seinen Zuschauern vor allem ein Gefühl der Geborgenheit entstehen lassen. Das ist für einen angeblich zynischen Satiriker zwar etwas ungewöhnlich, aber der kuscheligen Jahreszeit durchaus angemessen. Allerdings möchte man dann nicht von Äußerlichkeiten verstört werden. Harald Schmidt soll ganz schnell wieder aussehen wie früher. Sissi altert schließlich auch nicht.

Es gibt Anzeichen dafür, dass die herzige Kaiserin noch eine lange Zukunft vor sich hat. Die fünfjährige Tochter von Freunden akzeptiert bislang nur Zeichentrickfiguren – „Menschenfilme“ lehnt sie verächtlich ab. Einzige Ausnahme: Sissi. „Willst du ein Bauernmädchen werden oder eine Kaiserin?“, fragt nun der Vater, wenn sie sich schlecht benimmt. Rabenschwarze Pädagogik, reaktionäres Weltbild. Wer will darüber an Weihnachten schon streiten?

Zumal das Fernsehprogramm genügend Stoff für Zerwürfnisse bietet. Eine ernste Beziehungskrise habe die Tatsache ausgelöst, dass sie den Film „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ nicht mit der gebotenen Andacht verfolgt habe, erzählt eine 40-jährige Freundin. Nichts ist den meisten Menschen vergleichbar heilig wie ihre eigenen Kindheitserinnerungen.

Weswegen ja auch viele Leute brav so tun, als seien sie gerührt, wenn die Liebsten sie vor öde Backsteingebäude führen und darauf hinweisen, hier seien sie früher zur Schule gegangen. Dass vergleichbare Reaktionen auch vor dem Bildschirm angebracht sind, müssen manche aber offenbar erst noch lernen. Das Medium steckt halt noch immer in den Kinderschuhen.

Keine Regel ohne Ausnahme. „Ich hasse es“, sagt eine andere Freundin. „Betrunkene, die über irgendetwas stolpern, sind im Fernsehen das Schrecklichste, was ich kenne. Aber lauter nette Leute sitzen herum und behaupten, es gehöre dazu. Ich glaube, eigentlich ist das der tiefere Grund, warum ich Silvesterveranstaltungen verabscheue.“ Sie wird an diesem Tag arbeiten. Ich gehe zu einer Fete. Vorher schaue ich mir „Dinner for one“ an. Alleine. Und zufrieden.

Fragen zu Schmidt? kolumne@taz.de MORGEN: Kirsten Fuchs über KLEIDER