Akribie und Langmut

Ute Haug, seit 2000 Provenienzforscherin an der Hamburger Kunsthalle, gilt bundesweit als Pionierin. Doch ihr Vertrag läuft im September aus. Dabei hat sie nicht einmal ein Bruchteil der Werke auf ihre Herkunft zwischen 1939 und 1945 hin untersucht

von Petra Schellen

Es ist eine Detektivarbeit, deren Konsequenzen sich niemand entziehen kann. Jedenfalls nicht, so lange nicht das letzte Quentchen Provenienzgeschichte erforscht ist – und nicht, so lange Kunstwerke in Museen weilen, deren Herkunft zwischen 1939 und 1945 ungeklärt ist. Auch die Geschichte des damals versteigerten jüdischen Mobiliars, das sich vermutlich in etlichen Haushalten findet, harrt noch der Aufklärung, doch dies ist ein anderes Thema.

Für Ute Haug, seit 2000 Provenienzforscherin an der Hamburger Kunsthalle, hat die Bearbeitung der Gemälde Vorrang: „Wir haben uns darauf geeinigt, dass ich mich zunächst diesen 490 Werken der Kunsthalle widme; zu erforschen wären natürlich auch die Bestände des 100.000 Blätter fassenden Kupferstichkabinetts sowie Medaillen und Skulpturen.“

Schneede will kämpfen

Doch schon die Bearbeitung der Gemälde kostet enorme Zeit; rund die Hälfte hat Ute Haug bislang erforscht. Und Ende September 2005 soll die befristete Stelle enden; das Kunsthallen-Budget lasse eine weitere Finanzierung nicht zu, so Kunsthallen-Direktor Uwe M. Schneede. Doch er will dafür kämpfen, „dass die Provenienzforschung an unserem Hause in jedem Fall erhalten und dauerhaft installiert wird. Diese Arbeit ist dringend notwendig und wird noch etliche Jahre in Anspruch nehmen.“ Es sei sinnlos, auf halber Strecke aufzuhören, zumal Haug inzwischen bundesweit als Pionierin gelte. Denn mit Bedacht hatte Schneede die zunächst aus einer Sonderförderung der Kulturbehörde, inzwischen aus dem Etat der Kunsthalle finanzierte Stelle eingerichtet, „damit uns nicht irgendwann überraschende Restitutionsansprüche treffen“.

Er möchte vielmehr klare Verhältnisse haben und sicher sein, dass die Herkunft der Werke unbedenklich ist oder, andernfalls, von sich aus auf die Erben zugehen. Oder aber nachweisen, dass die Ansprüche unberechtigt sind – was Ute Haug bereits mehrfach getan hat: Das Daumier-Gemälde Das kleine Bad forderte Ende 2003 der Erbe des Sammlerpaars Ludolf und Edith Rosenheim ein; beide waren während der Nazi-Zeit nach Frankreich und später in die USA emigriert. Doch Haug konnte belegen, dass die Kunsthalle das Gemälde 1930 legal gekauft hatte.

Unkompliziert gestaltete sich auch der Legalitäts-Nachweis des Munch-Bildes Der Kunstfreund Albert Kollmann und der Schriftsteller Sten Drewsen, das die Nachfahren des Sammlers Curt Glaser suchten. Doch die Erben wussten selbst nicht genau, welche Werke Glaser bei seiner Emigration 1933 mitgenommen hatte. Haugs Recherche ergab: Auch dieses Werk hat die Kunsthalle nach dem Zweiten Weltkrieg legal erworben.

Unterprivilegierte Sparte

Diffiziler stellte sich die Herkunftsgeschichte von Max Liebermanns Porträt Ferdinand Sauerbruchs dar. Die Schwiegertochter der Sammler Gustav und Clare Kirstein, deren Sammlung 1939 an die Stadt Leipzig gegangen war, wollte das Bild wiederhaben; der Sammler selbst hatte damals Selbstmord begangen.

Doch Ute Haug ergründete Überraschendes: die Existenz einer zweiten Sammlung Kirstein, die von Kirsteins Bruder Berthold und seiner Frau. 1951 hat die Kunsthalle das Bild vom jüdischen Händler Paul Graupe gekauft – dem letzten in Berlin tätigen Händler, der die Versteigerungen der Werke aus jüdischem Besitz organisierte. „Eine seriöse, aber sicher problematische Persönlichkeit, über die man zu wenig weiß, um ein Urteil fällen zu können.“ Jedenfalls war der Ankaufsweg legal: „Dies war kein Restituierungsfall.“

Akribie und Langmut braucht Ute Haug für ihre Recherchen – und gute Kontakte zu anderen Provenienzforschern. Den Arbeitskreis Provenienzforschung hat sie daher gegründet, denn diese Sparte ist nicht sonderlich privilegiert in Deutschland – jedenfalls nicht finanziell: bei der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten in Potsdam, bei den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, am Frankfurter Städel, am Sprengel Museum Hannover sowie an der Berliner Nationalgalerie gibt es Provenienzforscher – alle auf befristeten Stellen bzw. Stipendien.

Zwölf Fälle ungeklärt

„Das ist sehr wenig, besonders, wenn man diese personelle Situation mit der in den USA vergleicht“, berichtet Ute Haug. „Dort gibt es bedeutend mehr Stellen.“ Als heroisch gelten die deutschen Einzelkämpfer deshalb bei den US-Kollegen. „Wir mussten sie ein bisschen sensibilisieren für unsere Arbeitssituation.“ Denn auch Haug hat erst 271 der 490 zu bearbeiteten Gemälde erforscht. „71 davon sind unbedenklich, 80 in Bearbeitung – und zwölf ungeklärt. Sie müssen also als bedenklich gelten. Wir haben sie unter http://www.hamburger-kunsthalle.de (link: Forschung) ins Internet gestellt; die Liste wird in diesen Tagen vervollständigt.“

Von mangelnder Auslastung kann also keine Rede sein. Und auch dass Provenienzforschung in Fachkreisen als notwendig angesehen wird, kann Ute Haug leider nicht behaupten. „In diesem Punkt sind die Prioritäten hierzulande noch nicht klar genug gesetzt. Das hängt auch damit zusammen, dass dies ursprünglich Aufgabe der Kustoden ist, die aber heutzutage viele Ausstellungen organisieren müssen und kaum noch Zeit für die Pflege der Sammlung haben.“ Womit sie die gesamte Herkunftsgeschichte jedes Bildes meint. „Provenienzforschung auf die Zeit zwischen 1933 und 1945 zu begrenzen greift zu kurz: Um diesen Zeitraum zu beleuchten, muss man auch über die Epoche davor Bescheid wissen. Man muss die Sammlungsgeschichte, die von Privatsammlungen und des Kunsthandels, kennen.“

Doch Ute Haug möchte nicht zu viel klagen: „In den vergangenen zehn Jahren ist das Interesse an Sammlungsgeschichte gestiegen, und es gibt immer mehr Publikationen über Sammler und Händler.“ Aber natürlich noch nicht genug. Weshalb die Provenienzforscher Deutschlands für eine unabhängige, zentrale Forschungsstelle plädieren. Schwerpunkt sollte die Geschichte der deutschen Museen und Sammlungen im 20. Jahrhundert sein; zusätzlich sollte es Provenienzforscher bzw. feste Ansprechpartner in den Museen geben. Denn es ist noch längst nicht alles gesagt zu dem Thema – auch wenn etliche der Protagonisten nicht mehr am Leben sind.