bücher für randgruppen
: Spielzeug aus Afrika

Kunstgewerblichem haftet nicht selten etwas leicht Miefiges, Staubfängerhaftes an. Vor über zwanzig Jahren wandelte ich in einem Kreuzberger „Afrika-Shop“ herum und bewunderte die Eigenheiten und Wunderlichkeiten der dort angebotenen Perlen, Holzschnitzereien und Tücher. Viele zauberhafte Farben und fremde Objekte lockten auf Tischen und in Regalen. Aber irgendwie fand ich doch keine rechte Lust, etwas zu erwerben, bis ich schließlich ein höchst bemerkenswertes Spielzeug entdeckte. Dieses war offensichtlich konstruiert aus Resten und Recyclingmaterial: ein Drahtstiel, an dessen Ende sich eine Mischung aus Vogel und Flugzeug befand, dieses unten an zwei mit roten Stoffen umwickelten Rädern montiert, die wiederum verbunden durch einen Draht mit den Flügeln aus gelb-braunen Stoffen. Schiebt man den Vogel über den Boden, dann drehen sich die Räder, die damit seine Flügel wechselweise sanft hoch- und runterschwingen. Ein wunderbares Objekt. Es hängt seitdem meist an meinem Bücherregal, taucht dann plötzlich irgendwo am Schrank auf und befindet sich zurzeit auf dem Schreibtisch. Mittlerweile ist der Vogel auf Rädern auch etwas eingestaubt, aber er rollt bei Bedarf immer noch recht flott über den Teppich.

Es ist nicht leicht, sich der Ästhetik des Kinderspielzeugs aus Burkina Faso, Ghana oder Togo zu entziehen, gefertigt aus alten Spray-, Konservendosen, aus Draht, Stoff, Metall, Autoschrott und Kronkorken. Doch was ist so faszinierend an diesen Objekten, den Miniaturnachbildungen von Motorrollern, Autos, Fotoapparaten, Lkws, Kampfjets, Fahrrädern und Schiffen? Sind das wirklich die Verpackungen der „multinationalen Instantkaffee- und Kondensmilchkonzerne“, die als „Bumerangs zurückkehren“, wie es Jacques Froidevaux in seinem kleinen Aufsatz „Kunst ohne Allüren“ euphorisch ausdrückt?

Der Autor, der den Aufstieg des Spielzeugs in zwanzig Jahren vom selbst gebauten Trödel zum Liebhaberobjekt auf die Sockel edler Galerien in Europa beobachtet hat, betont seinen Verzicht auf eingehende Analysen. Er „bewundert lieber“. Wenn irgendwo in Afrika ein gewaltiges künstlerisches Genie leben würde – so Marcel Duchamp vor vielen Jahren –, irgendwo abgelegen im Herzen des Kontinents, dann würde dieses Genie einfach nicht existieren. Nachdem also das Zentrum der modernen Kunst nicht mehr allein in Europa oder den USA verortet wird, sondern wie die documenta 11 mit Okwui Enwezor beweisen wollte, auch in Grönland, der Mongolei und Madagaskar moderne Künstler mitsamt Videoinstallationen und Konzept-Art existieren, fällt die Klassifizierung dieser Spielzeuge schwer. Art Brut, Naive Kunst, Kunsthandwerk, Kuriositäten und Trödel sind die Kategorien, die Froidevaux angesichts der 170 prächtig abgebildeten Kleinode einer Schweizer Sammlung anzubieten hat – ohne sie beantworten zu können oder zu wollen. Stefan Eisenhofer und Karin Guggeis gehen dagegen voll in die Interpretation. Sie sehen im Recycling-Spielzeug einen Verweis auf globale Herausforderungen, sehen es eingebunden in kunst- und gesellschaftspolitische Diskurse „unserer postkolonialen Zeit“. Afrika werde in diesen Objekten nicht mehr zum „Endlager“, sondern zum „kreativen Transformationsraum“. Davon zeugen nicht zuletzt die verarbeiteten Insektizid-Kanister. Doch auf der Suche nach dem „Echten“, dem „Wahren“ und „Urtümlichen“ darf eine kleine Warnung der Autoren nicht fehlen: Nicht blenden lassen von den standardisierten Angeboten auf Flohmärkten, Fair-Trade-Läden und Kaufhäusern. Dieser Ratschlag zeigt, dass wir aus „unserem Afrika“ doch stets das Unikat erwarten, das handgemachte Original, die Sonderanfertigung. Mit dem Interview eines Spielzeugmachers endet das Buch, sehr knapp, man könnte auch sagen: sehr unallürenhaft.

WOLFGANG MÜLLER

Stefan Eisenhofer, Karin Guggeis, Jacques Froidevaux: „Afrika bewegt sich – Spielzeug aus Westafrika“. Arnoldsche Verlagsanstalt, Stuttgart 2004, 216 Seiten, ca. 200 Farbabbildungen, 29,80 Euro