„Man muss sich aufregen können“

Begabung und Fleiß sind im Journalismus wichtiger als formale Bildung, sagt Stefan Aust. Ein Gespräch mit dem Spiegel-Chefredakteur über seine Tellerwäscherkarriere, die Kunst des Blattmachens und die gute Seite der Medienkrise

INTERVIEW JENS BERGMANN

„Was mit Medien“ ist trotz zunehmend unsicherer Aussichten ein ebenso unkonkreter wie häufiger Berufswunsch. Doch was ist eigentlich in der Branche gefordert? Wie sind Sandra Maischberger, Katja Kessler, Bascha Mika oder Anne Will dorthin gekommen, wo sie jetzt sind? Diese Fragen haben Hamburger Journalistikstudenten mit Unterstützung des Journalistikprofessors Bernhard Pörksen und des Journalisten Jens Bergmann Medienmachern gestellt. Herausgekommen ist das „Trendbuch Journalismus“. Hier ein Auszug:

Herr Aust, trauern Sie den Zeiten nach, als Politik und damit auch der politische Journalismus eine größere Rolle spielten?

Stefan Aust: Ich glaube nicht, dass Politik und der politische Journalismus unwichtig geworden sind. Was sich verändert hat, ist der politische Umgang, der heute zivilisierter ist. Die Konfrontation zwischen Rechts und Links – was immer das mal bedeutet hat –, die gibt’s nicht mehr. Ideologische Unterschiede sind verblasst. Die Themen aber bleiben spannend. Man muss allerdings mehr in die Tiefe gehen. Wie löst man das Problem der Sozialversicherungen? Wie geht man mit dem demografischen Wandel um? Wenn es eine zu starke Frontenbildung gibt, dann verwischen die wirklichen Gründe für Auseinandersetzungen leicht. Dann geht es um Gut oder Böse, Freund oder Feind. Insofern bin ich ganz froh, dass die Schlachten der 68er geschlagen sind.

Dabei verdanken Sie diesen bewegten Zeiten Ihre Karriere. Sie haben das Handwerk bei Konkret gelernt, dem Zentralorgan der Studentenbewegung.

Ja, aber mich hat schon immer mehr das Handwerk interessiert und weniger die Ideologie – Ideologen gab’s bei Konkret ja schon mehr als genug. So bekam ich als 20-Jähriger die einmalige Chance, ein Blatt zu machen. Der Einstieg war zufällig; ich hatte in Stade mit dem Bruder des damaligen Konkret-Verlegers Klaus Rainer Röhl Schülerzeitung gemacht und dann einen Tag nach dem Abitur bei Röhl dem Älteren angefangen. Ich habe mehr oder weniger selbständig das Blatt gemacht. Ich habe Geschichten bestellt, redigiert, Titelbilder und Titelzeilen gemacht. Im Grunde habe ich mir über dieselben Sachen den Kopf zerbrochen wie heute.

Wollten Sie schon immer Chef werden?

Ich wollte immer Blattmacher werden. Schon bei der Schülerzeitung hatte ich Leute, die sehr gut schreiben konnten, besser als ich, dachte ich jedenfalls damals. Deswegen habe ich mir gesagt: Ich mache später mal eine Zeitschrift und versuche, die besten Leute an die richtige Stelle zu setzen.

Wie macht man es denn? Muss ein Chefredakteur heute vor allem ein guter Verkäufer sein?

Diese Betrachtungsweise ist mir fremd. Natürlich müssen wir das Heft verkaufen. Aber was sich verkauft, ist schwer zu sagen. Das hängt von allen möglichen Faktoren ab. Wenn man die wissenschaftlich testen und voraussagen könnte, gäbe es nur gute Titel, die gibt’s aber nicht. Meine Erfahrung ist, wer allzu sehr auf den Verkauf setzt, fällt häufiger die falschen Entscheidungen, nach dem Motto: Persönlich finde ich das Thema nicht gut, aber wahrscheinlich der Leser, weil der ja doof ist. Ich frage mich deshalb selbst: Was fände ich gut? Was lese ich gern? Und weil ich überdurchschnittlich durchschnittlich bin, liege ich damit oft richtig.

Wie sieht der ideale Spiegel- Titel aus?

Der ideale Titel bezieht sich auf ein konkretes Ereignis, das kurz zurückliegt, von dem es ein Bild gibt, das den Kern der Problematik sehr deutlich erkennbar macht und das sich mit der Titelzeile ergänzt. Einer unserer gelungensten Titel war der nach dem 11. September. Wir haben uns nicht wie viele andere für das Bild des brennenden World Trade Centers entschieden, sondern für das Fernsehbild von dem Moment, in dem das zweite Flugzeug tatsächlich dort hineingesteuert wird. Dieses Bild macht den Wahnwitz dieser Tat deutlich. Dazu haben wir eine sehr kleine Zeile gestellt: „Der Terrorangriff: Krieg im 21. Jahrhundert“.

Nach dem Attentat setzten Sie statt auf politische Analysen auf eine minutiöse Rekonstruktion der Ereignisse. Entspricht das Ihrer Reportermentalität des Jägers und Sammlers?

Irgendwohin zu gehen und aufzuschreiben, was man selbst recherchiert, gesehen und erlebt hat, finde ich jedenfalls wichtiger, als aus Archivmaterialien eine Geschichte zusammenzuschreiben. Ich mag Frischware.

Das ist die Haltung des Fernsehmannes.

Beim Fernsehen habe ich tatsächlich gelernt, direkt an die Themen heranzugehen. Wenn Sie mit jemandem ein Interview haben wollen, müssen Sie ihm eine Kamera vor die Nase halten.

Sie haben, wie Sie selbst gern sagen, nichts gelernt. Ist eine solche Tellerwäscherkarriere in den Medien heute noch möglich?

Warum nicht? Als ich anfing, waren die Bedingungen für Leute wie mich doch nicht besser als heute.

Resultiert aus Ihrer Lebensgeschichte eine gewisse Skepsis gegenüber formaler Bildung? Bei Spiegel TV haben Sie reihenweise Praktikanten zu Redakteuren befördert.

Das ging zeitweise gar nicht anders, weil Spiegel TV sehr schnell gewachsen ist und wir rasch eigenes Personal ausbilden mussten. Was spricht dagegen, begabten Leuten eine Chance zu geben? Ich bin überzeugt, dass es im Journalismus mehr auf Begabung und Fleiß ankommt als auf formale Bildung. Natürlich ist es gut, wenn man weiß, wann der Zweite Weltkrieg gewesen ist, aber dazu muss man nicht Geschichte studiert haben. Wobei ich nichts gegen ein abgeschlossenes Studium habe: Es macht einen nicht dümmer. Was ich nicht für gut halte, ist, wenn Leute zu lange nichts anderes machen als Ausbildung. Mit Mitte, Ende zwanzig sollten Journalisten im Job sein.

Leicht gesagt. Ist es angesichts der aktuellen Medienkrise nicht verständlich, wenn junge Leute in der Hoffnung auf bessere Zeiten ihre Ausbildung in die Länge ziehen?

Ich will hier keine wohlfeilen Ratschläge geben. Aber ich glaube, dass es nicht gut ist, auf bessere Zeiten zu warten. Wer sagt, dass bessere kommen? Man muss seine Chancen nutzen.

Das war vor einigen Jahren leichter, als die Verlage noch Geld in die Hand genommen und etwas riskiert haben.

Stimmt. Ich finde es allerdings ganz gut, dass die Branche nicht mehr im Geld schwimmt, weil die Werbeeinnahmen zurückgegangen sind. Ulrike Meinhof hat mal gesagt: Zeitschriften sind Unternehmungen, die Anzeigenraum als Ware produzieren, die durch den redaktionellen Inhalt absetzbar wird. Ziemlich sarkastisch, aber insofern richtig, als in den vergangenen Jahren viele Zeitschriften nur gegründet wurden, um Anzeigen zu akquirieren. Dann hat man die Auflagen künstlich durch Sonderverkäufe nach oben gejubelt, also im großen Stil verschenkt, um die Reichweite zu erhöhen. Das alles ging zu Lasten von Qualitätstiteln. Wenn sich der Markt nun gesundschrumpft, ist das bitter für die, die da arbeiten, aber für den Journalismus insgesamt gar nicht so schlecht.

Allerdings sieht es nicht so aus, als profitiere der Qualitätsjournalismus davon. Die überregionalen Tageszeitungen stehen massiv unter Druck.

Was auch damit zu tun hat, dass die aktuelle Berichterstattung zunehmend in den elektronischen Medien stattfindet. Dem Printjournalismus bleibt deshalb nichts anderes, als mehr in die Tiefe zu gehen. Wir sind in der glücklichen Lage, mit dem Spiegel auf der einen und Spiegel TV und Spiegel online auf der anderen Seite beides anbieten zu können. Und wir haben den Riesenvorteil, dass wir uns mit dem Online-Angebot – anders als die Tageszeitungen – nicht selbst Konkurrenz machen. De facto ist Spiegel online die Tageszeitung des Spiegels.

Die vom Spiegel subventioniert werden muss.

Ich sehe das eher als strategische Investition in die Zukunft.

Sie sind nicht nur Journalist, sondern auch Medienunternehmer. Fällt es Ihnen schwer, diese Rollen unter einen Hut zu bekommen?

Überhaupt nicht. Ich entscheide immer gleich: danach, was ich journalistisch für richtig halte. Und es kommt vor, dass das geschäftlich nicht erfolgreich ist. Das darf nicht die Regel sein; wir leben im Kapitalismus und das Heft muss verkauft, Zuschauer müssen angelockt werden. Aber das Journalistische steht für mich immer im Vordergrund.

Eine Tochterfirma von Spiegel TV produziert Johannes B. Kerners Talkshow. Wann werden wir die erste Geschichte über Johannes B. Kerner im Spiegel lesen?

Wir haben mal eine Geschichte über Kerner gemacht, die so positiv ausgefallen ist, dass ich sie nicht gedruckt habe. Ich kann Ihnen versichern, dass wir keine Rücksicht auf Leute nehmen, mit denen wir gesellschaftlich verbandelt sind. Nehmen Sie nur unsere eigenen Gesellschafter: Der Spiegel Verlag gehört zu 25 Prozent Gruner + Jahr und damit letztlich Bertelsmann. Was uns nicht abhält, sehr kritische Geschichten über Bertelsmann zu machen. Genauso wenig schonen wir Firmen, die bei uns inserieren, obwohl wir zu fünfzig Prozent von Anzeigen leben. In etlichen Fällen sind uns schon ganze Anzeigenkonvolute gestrichen worden, weil sich irgendjemand über eine Story geärgert hat. Für mich stellt sich das Problem übrigens oft genug andersherum. Ich denke manchmal: Diese Geschichte ist eigentlich nicht gut genug, um gedruckt zu werden, aber ich will mich nicht dem Verdacht aussetzen, meine Hand schützend über A, B oder C zu halten.

Könnten Sie ein Beispiel nennen?

Ich könnte schon, tue es aber nicht.

In Ihrer Position dürften Sie eigentlich keine Freunde haben.

Doch. Man muss nur trennen können und darf sich in seinem kritischen Blick nicht beeinflussen lassen. Eine gute Geschichte muss veröffentlicht werden, auch wenn sie Leute ärgert, die mir nahe stehen. Das ist anstrengend und das fällt mir nicht immer leicht.

Der Umgang in der Branche ist häufig eher rau. Sie selbst gelten als harter Bursche. Einer Ihrer Spitznamen ist „der Tyrann“.

Dieses Image hat mit der Realität nichts zu tun – aber ich selbst kann es wohl schlecht dementieren. Selbstverständlich gehört eine gewisse Entschlossenheit zu meinem Job, ich muss gelegentlich sagen: Das drucke ich nicht, diesen Film sende ich nicht, da müsst ihr euch mehr anstrengen. Dafür werde ich bezahlt. Aber Sie können mit diktatorischen Ansätzen keine Redaktion wie den Spiegel oder Spiegel TV führen.

Der ehemalige Spiegel- Redakteur Hellmuth Karasek hat einmal gesagt, das Blatt verleihe seinen Leuten Rückgrat nach außen und breche es ihnen dafür nach innen.

Das mag zu seiner Zeit so gewesen sein, heute ist es ganz sicher nicht so.

Was zeichnet einen guten Journalisten neben einem geraden Gang Ihrer Ansicht nach noch aus?

Neugier. Außerdem sollte er sich Sorgen machen um die Welt. Ich bin kein Freund des Betroffenheitsjournalismus, aber man muss in der Lage sein, sich aufzuregen. Worüber ich mich am meisten aufrege, ist, wenn Leute sich nicht mehr aufregen können, wenn es ihnen egal ist, ob eine Sache so oder so gemacht wird. Ein guter Journalist ist auch Überzeugungstäter.

Wobei sich die Überzeugungen Ihres Blattes recht häufig ändern. Hans Magnus Enzensberger hat geschrieben, das Charakteristikum des Spiegels sei, keine Haltung zu haben.

Mit dieser Kritik kann ich gut leben, weil ein Journalist keine fest gefügte politische Haltung haben sollte. Es geht doch gerade darum, die Einschätzung von Themen jeden Tag neu zu prüfen und sich möglicherweise von lieb gewonnenen Positionen zu trennen. Wir sind Journalisten und keine Politiker.

Dieses Gespräch ist ein für das taz.mag bearbeitetes Interview aus: Bernhard Pörksen (Hrsg.): „Trendbuch Journalismus. Erfolgreiche Medienmacher über Ausbildung, Berufseinstieg und die Zukunft der Branche“. Herbert von Halem Verlag, Köln 2004, 300 Seiten. 16 Euro

JENS BERGMANN, Jahrgang 1964, studierte Psychologie und Journalistik. Er volontierte bei einer Fernsehproduktionsfirma und besuchte die Henri-Nannen-Schule. Heute lebt er in Hamburg und ist Redakteur für das Wirtschaftsmagazin brand eins.