Gedämpfter Siegestaumel

Handballbundesligist VfL Gummersbach siegt gegen Tusem Essen mit dem Schlusspfiff. Der Jubel in der KölnArena ebbt dennoch schnell ab. Die Enttäuschung über die vielen Auswärtsdesaster sitz zu tief

AUS KÖLN ERIK EGGERS

Aller Ärger war vergessen, zumindest für diesen einen Moment. Eine Minute vor Schluss der Partie zwischen dem VfL Gummersbach und TuSEM Essen stand es remis, der Gastgeber, der die gesamte zweite Halbzeit in Führung gelegen hatte, befand sich in Ballbesitz, spielte aber in Unterzahl. Die meisten der 19.000 in der KölnArena waren angesichts der dramatischen Wendung längst aufgestanden, und dann passierte das, was keiner mehr erwartet hatte: Der VfL spielte clever die Zeit herunter, und fünf Sekunden vor der finalen Sirene bediente der Halbrechte Cedric Burdet den einlaufenden Linksaußen Alexander Mierzwa – und der prügelte den Ball aus sechs Metern ins Netz. Mierzwa hüpfte wie ein unkontrollierbarer Flummi übers Spielfeld, die Zuschauer lagen sich in den Armen, als der Rekordmeister des deutschen Handballs das Spiel mit 30:29 gewonnen hatte.

Der Jubel währte freilich nicht lang. Kaum jemand sprach danach von den neun Rückraumtoren des Sprungwunders Daniel Narcisse, kaum jemand notierte die maschinengleiche Treffsicherheit Kyung-Shin Yoons bei Siebenmetern, und kaum jemand freute sich über das erfolgreiche Comeback des Keepers Steinar Ege. Auch Kampfgeist und Leidenschaft beim VfL war kein Thema. Zu sehr steckte allen Spielern noch die jüngste Auswärtsniederlage in den Knochen: Am zweiten Weihnachtstag hatte der Rekordmeister nach schmachvoller Leistung mit 27:28 bei Post Schwerin verloren, dem bis dato punktlosen Tabellenletzten.

Die Krise war da beim Tabellensechsten. War das Saisonziel des ambitionsreichen VfL – ein Platz unter den ersten Drei – mit der sechsten Auswärtsniederlage in Folge doch in weite Ferne gerückt. Deswegen hatte es eine geharnischte Kritik gehagelt, vom Chef höchstpersönlich. Hans-Peter Krämer, als Aufsichtsratschef der starke Mann im Klub, hatte die Spieler in einem Interview mit dem Kölner Stadt Anzeiger als „gedankenlos“, „unkonzentriert“ und als „Weißbrötchen-Generation“ gescholten. Im Fokus der Kritik: Frank von Behren. Der hatte sich zuvor öffentlich beklagt, dass er, da am ersten Weihnachtstag nicht zu Hause, in traurige Augen seiner Frau blicken müsse. Das brachte Krämer auf die Palme: „Wer hat den eigentlich gezwungen, Handball zu spielen?“, fragte er und machte speziell bei von Behren ein Einstellungsproblem aus. Pikant daran: Von Behren besitzt einen Sponsorenvertrag mit der Kreissparkasse Köln – Krämer ist deren Vorstandsvorsitzender.

Selbst Siegtorschütze Mierzwa verfiel direkt nach dem Spiel also nicht in Euphorie, sondern blieb kleinlaut: „Wir wissen, dass ein Spiel nicht reicht, den Schaden wieder gut zu machen.“ Mit gutem Grund, ist das Konzept des Traditionsvereins doch auf Wachstum und Erfolg ausgelegt. Spätestens in drei Jahren soll der Klub, der vor vier Jahren noch schwermütig dahinsiechte, seinen 13. Meistertitel feiern. „Wenn die Erfolgsstory abbricht, funktioniert es nicht mehr“, sagt Krämer, „dann bekommen wir auch Probleme mit den vielen Sponsoren“. Und dann kommen womöglich auch nicht mehr so viele Zuschauer in die Kölnarena, um nach bekannter kölscher Art sich selbst zu feiern. Und das wäre ein herber Rückschlag, wo der VfL, der sonst in der maroden Eugen-Haas-Halle in Gummersbach zu Hause ist, in der nächsten Saison doch elfmal in der supermodernen Halle umziehen will. Die Mannschaft ist zum Siegen verdammt. Das nächste Mal am 2. Januar gegen die HSG Düsseldorf.