Bürger gegen die Stadt Herne

Das Herner Kinder- und Jugendparlament nahm den Todestag eines Abschiebehäftlings zum Anlass, zum wiederholten Male gegen die Abschiebung eines ihrer Mitglieder in den Kosovo zu protestieren

Der Oberbürgermeister soll mal bei dieser Kälte im Zelt schlafen

AUS HERNE NATALIE WIESMANN

Es war kalt und nass gestern morgen in Herne. Trotzdem haben sich auf dem Wiescher Friedhof fünfzehn Jugendliche und eine Handvoll Erwachsene versammelt, um dem tragischen Tod des Abschiebehäftlings Emanuel Tout zu gedenken. Dieser hatte sich 1993 im Alter von 23 Jahren im Herner Abschiebegefängnis das Leben genommen. „Wir sind hier zusammengekommen, weil uns das Erinnern an diesen Verzweiflungsakt wichtig ist“, sagte der evangelische Pfarrer Martin Domke.

Wichtig ist dem Pfarrer auch, die Parallelität zu einem aktuellen Abschiebefall aufzuzeigen: „Tout war ein junger Mann, der sich ungewöhnlich schnell in der für ihn fremden Heimat Deutschland integriert hatte.“ Das Gleiche gelte für den 21-jährigen Met Iberdemaj, der seit Jahren von der Abschiebung bedroht ist (die taz berichtete). Met sei ein Vorbild für Integration, er sei so engagiert wie kaum ein Jugendlicher in seinem Alter. Außerdem sei es bewundernswert, wie er trotz der ständigen Unsicherheit sich von der Sonderschule zur Fachoberschule hochgearbeitet hat.

Der junge Kosovare steht an diesem Morgen selbst in der Runde der Jugendlichen am Grab von Tout, mit einer Kerze in der Hand. Um ihn herum die Mitglieder des Kinder- und Jugendparlamentes (KiJuPa), die ihn Anfang Dezember vor der Abschiebung gerettet haben. Sie haben Plakate mitgebracht, auf denen steht: „Zehn Jahre Kosovo, elf Jahre Herne. Heimat?“ oder „Der 1. Parlamentarier, der abgeschoben wird“. „Ohne sie wäre ich schon lange im Kosovo gelandet“, sagt Met, der selbst auch dem KiJuPa angehört. Nachdem er überraschend von der Polizei abgeführt worden war, hatten sich die Jungparlamentarier zunächst bei ihrem Chef, dem neu gewählten Oberbürgermeister Horst Schiereck (SPD) für ihren Kollegen eingesetzt. Erfolglos. Aus Verzweiflung hatten sie sich dann an den Herner Landtagsabgeordneten Frank Sichau (SPD) gewandt. Dieser konnte erreichen, dass Mets Abschiebung bis zur Anhörung vor dem Petitionsausschuss des Landtages ausgesetzt wurde. Am 6. Januar wird sich entscheiden, ob Met sein Abitur machen darf – oder als einziger seiner Familie in den Kosovo abgeschoben wird.

Dafür, dass er vielleicht in zwei Wochen bei Minusgraden in einem Zelt nächtigen muss, hält sich Met tapfer. Er kann sogar darüber lachen, dass er laut Oberbürgermeister gar keinen Schulabschluss hat. Schiereck hatte das Gerücht in die Welt gesetzt, das KiJuPa habe ihn falsch informiert. „Ich kann beweisen, dass ich die Fachoberschulreife habe“, sagt Met kopfschüttelnd. Das Schizophrene an der Situation ist: Nur ein Schulabschluss konnte die Abschiebung des jungen Kosovare rechtfertigen. Denn als Met siebzehn Jahre alt war, sollte er bereits ausgewiesen werden. Nur weil er sich schriftlich bereit erklärte, nach seinem Schulabschluss freiwillig das Land zu verlassen, hatte die Stadt ihn weiter geduldet. Diese zwang ihn dafür von seiner Familie, die aus unterschiedlichen Gründen nicht abgeschoben werden kann, in eine Pflegefamilie umzuziehen. „Weil die mich finanziell unterstützen können und ich dem Staat so nicht auf der Tasche liege“, sagt Met.

Der Unmut gegen die Ausländerbehörde ist bei allen Anwesenden groß: „Die Stadt hat in Abschiebefällen Ermessensspielräume, ist aber nicht gewillt, sie zu nutzen“, kritisiert Pfarrer Domke, der auch Leiter des örtlichen Informationszentrums Dritte Welt ist. Er verstehe nicht, warum man nicht die Leute, die schon lange keine Fremde mehr sind, in Deutschland bleiben lasse. „Diese könnten dann arbeiten und Steuern zahlen. Das ist allemal besser als Steuern zu verschwenden für teure und sinnlose Abschiebungen“, so Domke.

Die Mutter eines Mitglieds des KiJuPa beschwert sich über das Verhalten des OBs: Der ehemalige Lehrer habe sich bei dem Empfang der engagierten Jugendlichen Anfang Dezember ganz und gar nicht „pädagogisch“ verhalten. „Setzen“, habe er angeordnet und sie an seinem Pult stehend einschüchtern wollen. Auch die 15-jährige Jungparlamentarierin Lea ist sauer auf die Stadt. „Was soll Met im Kosovo machen, er hat dort niemand“, sagt sie. Met sei dort ständig in Gefahr. Das Land sei vermint, außerdem könnte er dort bei bis zu 30 Grad unter Null in seinem Zelt erfrieren. „Der Oberbürgermeister soll sich mal bei den Temperaturen in ein Zelt legen“, sagt sie aufgebracht. Dazu hat Schiereck in der Nacht vom 4. auf den 5. Januar die Gelegenheit. Denn vor der entscheidenden Petitionsausschuss-Sitzung planen die Mitglieder des KiJuPas gemeinsam mit solidarischen Bürgern vor dem Herner Rathaus aus Protest zu campieren.