Die Dickmacher

Nachrichten aus dem Sommerloch: Gesundheitsministerin Künast schlug Alarm, und plötzlich sah man überall dicke Kinder herumlaufen, die dringend ihre Fettanteile reduzieren mussten

von Daniel Wiese

Es gärte und schwärte schon länger. Im Januar etwa hatte Gesundheitsministerin Renate Künast einen Fonds angeregt, in den alle Schokoladefabrikanten einzahlen sollten, die ihre Süßigkeiten an Kinder verkaufen. Irgendwie kam es dann doch nicht zu dem Fond. Ist ja auch schwierig, zu unterscheiden, wer Süßigkeiten nur an Erwachsene und wer an Kinder verkauft.

Die Monate vergingen, der Sommer kam, und es trafen zwei Umstände zusammen: Die Nachrichtenlage wurde dünn, und man sah jetzt wieder Kinder in Badehose. Unter dem Schutz der Kleiderhülle müssen sich binnen eines Jahres furchtbare Dramen abgespielt haben, denn nun hallte ein kollektiver Aufschrei durch die Republik. „Ich bin 10 Jahre, immer hungrig und trage XXL“, titelte die Bild-Zeitung im Juni, es folgte ein düsterer Bericht über das Leben der „Moppelkinder“ zwischen Frittenbude und Fernsehapparat.

Andere, seriösere Zeitungen folgten, und bald hatte man ein neues Wort gelernt: „Adipositas“, Fettleibigkeit. In den Wohlstandsnationen nimmt sie zu, auch bei Kindern, bei denen sie tatsächlich zu gesundheitlichen Problemen führen kann.

Trotzdem steht das Problem in keinem Verhältnis zur Hysterie, die vermutlich vom Kinostart von „Super Size Me“ am 15. Juli weiter angestachelt wurde. In dem Film ernährt sich der New Yorker Regisseur Morgan Spurlock 30 Tage bei McDonald’s und nimmt 25 Pfund zu. Wenn es noch eines Beweises bedurft hätte, da war er: Unsere Ernährungsweise war faul und verrottet. Es bestand dringender Handlungsbedarf.

Gesundheitsministerin Künast berief im Juli eine Arbeitsgruppe ein, die über kleinere Verpackungen für Süßwaren und reduzierte Fettanteile bei Kindersnacks diskutierte. Kurz zuvor war es Künast gelungen, die Plattform „Ernährung und Bewegung“ ins Leben zu rufen. Mit an Bord: die unter Druck geratene Lebensmittelindustrie. „Mit dieser Plattform wollen wir ein Bündnis aller gesellschaftlichen Gruppen schaffen, die dazu beitragen können, dass insbesondere Kinder und Jugendliche einen gesunden Lebensstil führen, sich bewusst ernähren und ausreichend bewegen“, hieß es in der Grundsatzerklärung.

In dem allgemeinen Getöse gingen kritische Stimmen völlig unter. So hatte die Frankfurter Rundschau bereits am 5. Juli zu bedenken gegeben, dass die Datenbasis für die ganze Aufregung außerordentlich schmal sei. Die Rundschau zitierte einen Mitarbeiter des Gesundheitsministeriums mit den Worten: „Repräsentative Daten liegen derzeit nicht vor.“

Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt. Trotzdem sind bereits die ersten Notprogramme eingeleitet worden. In Hannover etwa wurde jetzt die Krankenkasse BBK aktiv. Sie bietet einen Kurs an, bei dem übergewichtige Kinder ihre schlechten Gewohnheiten ändern können. Der Kurs heißt „Beiß dich durch“.