urdrüs wahre kolumne
: Im Fruchtwasser der Mama

Da wird also im Weihnachtsmonat Dezember ein Ehepaar im Greisenalter wegen Diebstahls einer Packung Klebstoffs für rund 7 Euro in einem Bremer Supermarkt erwischt. Vermutlich wollten die beiden Strohsterne für den Tannenbaum basteln, und jetzt sind sie auf einmal kriminell. Oder wollten sie gar den Kleber im Plastiktütchen erwärmen und gemeinsam schnüffeln, um wenigstens auf diese Weise zu träumen von einer Welt, in der brave Enkelkinder im Bleyle-Anzug an Heiligabend noch zu Besuch kommen, ein Gedicht aufsagen und den Großeltern ein Fotoalbum mit den schönsten Schnappschüssen des Jahres vom Grillen auf Parzelle, Kindergeburtstag und Freimarktumzug mit den Judokindern von Eiche Horn zu überreichen? Wie dem auch immer sei – ein Staatsanwalt, der hier Anklage erhebt, hat die Monate nicht verdient, die er im Fruchtwasser seiner Mama noch in glücklicher Unschuld verbringen durfte!

Wo sind die Indianer? Jetzt zieht sich Ghislaine Valter aus ihrer grenzenlos wichtigen Arbeit für Abschiebehäftlinge zurück und in all’ den Jahren hat sie an öffentlichen Ehrungen in Bremen kaum mal schnuppern dürfen, obwohl diese kleine große Frau so viel mehr für Menschen und ihre Hoffnungen getan hat als all’ die Verdienstkreuzler und Senatsmedaillenempfänger im Funktionärszwirn. Beschämt bleiben auch wir zurück, die ihre Last erahnten und kaum einmal mittragen wollten, weil immer irgendetwas wichtiger war. Hilfreiche Auszeit, Gigi!

Die neuerliche Umbenennung von Nazi-Straßennamen nicht vorzunehmen, weil „Geschäftsleuten“ dadurch Unkosten entstehen – das ist ein Argument im Land der Arisierungsgewinnler, das jedem anständigen Unternehmer die Schamröte ins Gesicht treiben müsste. Wenn dieser Reflex aber nicht mehr funktioniert, so wünschen wir den Pfeffersäcken einen fröhlichen Untergang – in der Eupener Straße und überall! Damit wieder mal das Gegreine über jüdische Krämerseelen losgehen kann, die am Ende an allem schuld sind!

Auf dem Flohmarkt unweit des neuen AWD-Dome verkauft ein ziemlich abgerissener Typ um 40 neben allerhand Automodellen in Original-Sammlerboxen die kläglichen Bestände seiner Bibliothek, darunter auch die AWD-Publikation „ERlebte Verkaufspraxis“, in der ein Frank Bettger beschreibt, „wie ich meinen Umsatz und mein Einkommen beim Allgemeinen Wirtschaftsdienst vervielfache“. Ein erster Blick belegt, dass dieses Werk so recht die verschissenen Gedankengänge solcher Erfolgs-Apostel auf den Punkt bringt, und so erwerbe ich das Buch zum Schmunzelpreis von 2 Euro für mein Lug & Trug-Archiv des schamlosen Alltags und entdecke daheim diese handgeschriebene Widmung: „Hallo, Herr S.! So, jetzt ist die oberste Stufe des AWD-Repräsentanten erreicht! Die nächste kann nur noch heißen „Führungskraft GSTG S. 8.-DM-Stufe“.

Aber,Sie wissen doch, Mandanten kommen nur, wenn Sie telefonieren, Analysen schreiben und Abschlüsse tätigen! Viel Erfolg auf der „Leiter des Erfolges“ – unsere Unterstützung haben Sie!“

Auf dieser Stufe der Erbärmlichkeit ist jetzt die Halle für alle gelandet. Auch so ein Bubenstück für Koschnicks gut meinende Suche nach der verlorenen sozialen Identität der SPD … Dem gescheiterten Starverkäufer vom Flohmarkt und allen anderen Opfern der AWD-Maschmeyers dieser Welt sowie Ihnen und Dir aber wünscht trotz alledem ein gutes Neues Jahr

Ulrich „Feuerwerker“ Reineking