berliner szenen Paralleldiskurse

Anders beschimpfen

Nachmittags in Mitte. Ein Geländewagen mit laufendem Motor stand in der Einfahrt zur Kita. Die Frau in dem Wagen hatte das Fenster heruntergekurbelt und beschimpfte einen türkisch aussehenden Mann. Keine Ahnung, was zuvor vorgefallen war. Vermutlich hatte der Mann, der so businessmäßig gut gekleidet ist, ihrem schönen Auto den Weg abgeschnitten. Man kriegte nur ihre Beschimpfung mit, die davon handelte, dass er wohl keine gute Erziehung genossen habe.

Irgendwie kommt einem das absurd vor und man denkt an diesen schönen Sketch auf der 1995 erschienenen Helge-Schneider-Platte „Es rappelt im Karton“, wo ein böser Friseur einen kleinen Jungen so schön Helge-Schneider-mäßig triezt: „Bist wohl ein Kind armer Eltern. Erziehung wird bei euch wohl nicht groß geschrieben.“ So ähnlich hieß es da und war auch so lustig, weil Ungebildetsein als Beleidigung völlig lächerlich schien. Eher beschimpfte man doch Leute als Gymnasiast oder Student, gerade, wenn man selber einer gewesen war. Bis vor drei Monaten wäre der Mann, glaube ich, noch mit anderen Worten beschimpft worden.

Ein paar Tage später gab’s dazu dann das Gegenstück beim Überqueren der Urbanstraße. Wieder hatte ich die Vorgeschichte nicht mitbekommen, sondern hörte nur, wie vier türkisch aussehende junge Männer eine nett aussehende Frau mit Fahrrad als Nutte beschimpften und dann davonbrausten. Das passte gut, passte in diesen ganzen tollen Parallelgesellschaftsdiskurs. Die beiden kleinen Szenen wären der typische Einstieg gewesen für eine Spiegel-Reportage über den Gegensatz zwischen Migranten und Deutschen. Man hätte mit ihnen aber auch einen Text über flegelhafte Autofahrer beginnen können. DETLEF KUHLBRODT