Das Positive, das Positive!

Es ist da, man kann es sehen, Kamera-Kameraden zeigen es, überall

Das Positive sehen sei wichtig, heißt es überall, ganz besonders in so einem Miesmacherland wie Deutschland. Henkel-Horx-Christiansen-Schröder-Köhler-Westerwelle-Merkel und alle hämmern das pausenlos blindlings durch die Gegend. Andersherum betrachtet leuchtet es mir sogar ein: Das Gejaule, es gönge gerade den Deutschen so furchtbar schlecht, nervt entsetzlich, wenn es national motiviert ist und bloß meint, allen anderen dürfe es ruhig dreckig gehen, den tollen Deutschen aber auf gar keinen Fall. Die Befindlichkeit dieses kleinen Landes in Europa zur Dauernachricht aufzublasen, ist germanischer Schrumpfmumpf, geschuldet dem deutschen Minderwertigkeitskomplex und entsprechend unangenehm.

Die esoterische Waschanlage vom positiven Denken aber ist global und findet überall praktische Nutzanwendung. Eine Naturkatastrophe in Asien tötet zehntausende von Menschen. Das ist für alle Beteiligten von elementarer Bedeutung und äußerst betrüblich, aber dann haben die deutschen Medien doch das Positive parat: Es sind auch Deutsche unter den Opfern, gottlob. Immerhin, es geht doch, nicht nur Fidschis und Kanaken hat es erwischt, auch die Unsrigen sind mit von der Partie, wir können also schön dick mitmachen bei der Sensationssause. Im Kleinen, Regionalen und Lokalen wird es sogar noch positiver: Auch Berliner sollen dabei sein, berichten Berliner Zeitungen in tränender Begeisterung.

Das hält die Leserschaft bei der Stange, super, nun ist auch Berlin mittenmang und lässt sich nicht lumpen. Voyeurismus ist eine herrliche Sache, man kann sich dabei ungeheuer mitmenschenähnlich aufführen, und noch viel schöner und lukrativer als das bloße Kieken ist das Erzeugen von Gemeinschaftsgefühlen. Das bindet, auch mittelfristig.

„Wir berichten ununterbrochen über die Katastrophe“, meldet der Sender n-tv und bringt den Wert der Angelegenheit auf den Punkt. Auch das Radio, das, weil bilderlos, nicht mithalten kann, entdeckt seine Verantwortung und bringt endlich positive Nachricht: Das Flachlied „Die perfekte Welle“ der deutschen Band Juli wird bis auf weiteres nicht mehr gesendet. So gesehen sind die Opfer der Flutwelle nicht umsonst gestorben, ich bezweifle aber, dass sie das trösten wird.

Die wohlmeinenden Radiomenschen jedoch dürfen ihre entschlossene Aufwallung von Emotionsersatz auch weiterhin mit Pietät, Rücksichtnahme und Mitgefühl verwechseln und mit dem schönen Gefühl durch die Welt laufen, etwas getan und Schlimmeres verhütet zu haben. Es gehört eine große professionelle Kraftanstrengung dazu, die Welt mit einem Bild der Wirklichkeit zu versorgen, das einerseits rattenscharf realistisch wirken muss, andererseits mit der Wirklichkeit nichts zu tun haben darf. Die Simulationsbranche hat das mittlerweile nahezu perfekt im Griff, Lieferschwierigkeiten kommen praktisch nicht mehr vor.

Naturkatastrophen sind die Sissi-Romane unter den Weltereignissen. Schicksal, Schicksal, Schicksal!, hämmern sie aufs Publikum ein, das sich in fatalistischem Glotzen übt, erregt und passiv zugleich. Auch die Davongekommenen fügen sich reibungslos in die Inszenierung, nicht wenige haben sogar ihre eigenen digitalen Bilder gemacht, von denen es manche sogar bis ins Fernsehn schaffen.

Wer keine elektronische Ware anzubieten hat, wird selbst eine. „Im Hotelzimmer haben wir dann auch sofort den Fernseher angemacht“, berichtet brav, auftragsgemäß und stolz ein deutscher Zopfträger, den der Tod verschonte. Er wird zum Kamera-Kameraden, merkt das gar nicht oder findet es völlig selbstverständlich. Was selbst der Tod nicht schafft, gelingt dem Fernsehn: Es macht alle und alles gleich. Das menschliche Aussehen täuscht, man sieht dreidimensionale Spam-Mails, und alle denken positiv.

WIGLAF DROSTE