DEUTSCHE KULTUR
: Singt! Singt doch!

Kultur war einst ein deutscher Kampfbegriff: Sie erschien als das Gegenteil von Zivilisation. Das ist lange her. Aber wenn von deutscher Kultur die Rede sein soll, dann wird zugleich nach dem Besonderen in Deutschland gefragt. Es geht allerdings dann weniger um singuläre Höhepunkte kulturellen Lebens. Es geht vielmehr darum zu begreifen, was über lange Zeit hinweg die kulturellen Höchstleistungen in einem Land bestimmt. Ein Land, dessen Menschen sich auch aufgrund dieser Leistungen oder dessen, was sie möglich macht, als „Volk“ begreifen – ein Verlegenheitsausdruck wie manche, die entstanden, als man gegen Ende des Römischen Reiches einen Begriff zur Bezeichnung der merkwürdig fest zusammenhängenden Großgruppen an seinen nördlichen Grenzen finden musste. Was die Deutschen auszeichnet – und man sollte hier einschränken: seit dem Dreißigjährigen Krieg – sind die über dreihundert Jahre erstklassigen Leistungen in der Musik. Auf allen anderen Feldern des kulturellen Lebens gab es immer ein Auf und Ab, auch in der Philosophie bewegte man sich nicht nur auf den oberen Wegen. Aber in der Musik, sowohl bei Komponisten als auch bei den Musizierenden, aber auch beim Publikum, war stets nur das Beste gut genug.

Richard Strauss und Wilhelm Furtwängler blieben auch im Deutschland der Nationalsozialisten, ihre Arbeit wurde davon nicht schlechter – was man von den verbleibenden Schriftstellern, Malern oder Philosophen kaum sagen kann. Und als einmal die ganze Welt bewundernd auf die DDR schaute, war das bei der Eröffnung der wiedererstandenen Semper-Oper in Dresden mit dem „Freischütz“.

Heute sind die meisten Bildungseinrichtungen ruiniert, nur nicht die Musikhochschulen. Der Sozialstaat wird eingeschlagen, bei der Oper bleibt Deutschland unerreicht, was die Zahl der Häuser und ihre Qualität angeht. Warum ist das so? Vielleicht, weil der Wunsch nach Leistungssicherheit durch Methodik und handwerkliche Solidität in der Musik ideal mit der Kreativität aus dem Gefühl heraus verbindet. Das Instrument diszipliniert, seine Beherrschung erlaubt die ersehnten Höhenflüge. Identitätsstiftend ist deutsche Kultur in der Musik.

JÜRGEN BUSCHE