Das Montagsinterview
„Ich lass’ den lieben Gott regieren“

Über Gerechtigkeit gibt es beim Kirchentag große Worte großer Leute. Kleine Initiativen haben dazu aber oft viel mehr zu sagen
REICH ODER HIMMELREICH Nicht eine Arbeitslosen-Initiative nimmt am Kirchentag teil – außer der Selbsthilfe aus Wedel. Eine bewusste Ausgrenzung sei das nicht, sagt deren Gründer Pastor Hans-Günter Werner – aber eine faktische

INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Werner, Sie zahlen nichts für den Kirchentag?

Hans-Günter Werner: Doch, diesmal haben wir sogar bezahlt. Das schmerzt uns natürlich, dass wir das denen erst mal in den Rachen schmeißen müssen: Sonst habe ich immer Ratenzahlung gemacht und rumgestottert, bis sie’s uns erlassen haben. Aber die sind schlauer geworden. Die schicken keine Unterlagen mehr, bevor man bezahlt hat. Jetzt holen wir uns das nachher wieder.

Das klappt?

Ich will’s hoffen. Ich mach’ dann schlechtes Gewissen überall, dass sie den Arbeitslosen das Geld abzwacken …

Machen das alle so?

Eigentlich sollen die Initiativen sich das Geld von lokalen Spendern besorgen. Aber das wäre mir peinlich. Da schäme ich mich für die Kirche: Schließlich sammeln wir ohnehin immer Spenden – aber für Bedürftige, nicht für eine Beteiligung am Kirchentag.

Wie lange dauert es, die Kassenwarte weichzukochen?

Kann ich nicht sagen. Ich lass’ da auch den lieben Gott regieren. Das Hauptproblem ist ja: Früher war das für uns Beteiligte kostenlos. Jetzt ist für viele diese Hürde nicht zu schaffen. Da kommen nur noch Diakonie und solche großen Träger.

Klingt nach Ausgrenzung …

Das glaube ich nicht. Faktisch grenzt das die Schwächeren natürlich aus. Aber das ist keine Absicht, das liegt an der allgemeinen Geldknappheit: Auch der DGB knausert ja rum zum 1. Mai. Da wird man ganz traurig, wenn man sieht, was die für uns an der Basis noch übrig haben. So ist es eben in der Kirche auch …

wo der gute Glaube aber will, dass sie dem System trotzt!

Das ist mein Wunsch seit meinem ersten Tag in der Kirche, und dafür setze ich mich auch ein. Ich habe aber wenig Mitstreiter – und auch keine Lust und Kraft mehr, das innerhalb der Kirche durchzusetzen. Dann mache ich das lieber im Graswurzelwiderstand, statt im großen Rahmen.

Sie fahren aber trotzdem noch zum Kirchentag. Warum?

Weil uns wichtig ist, unser Thema da präsent zu halten. Wir laufen da mit acht Aktivisten auf …

allen, die wegen der Standmiete freien Eintritt haben?

Genau. Wir schöpfen das Kontingent aus. Das ist für die Aktiven hier eine Art Dankeschön. Zweitens freuen wir uns auf den lokalen Bezug – die Privatquartiere. Das ist für uns immer das Schönste am Kirchentag.

Seit wann nimmt die Initiative teil?

Eigentlich sind wir seit 1982 immer dabei gewesen.

Also von Anfang an?

Das kommt hin. Gegründet haben wir den Verein, als hier bei AEG in Wedel die ersten großen Massenentlassungen passierten: Da wurden plötzlich Tausende arbeitslos – und allen war klar: So geht das hier nicht weiter. Daraus ist die Selbsthilfe entstanden. Zuerst war das nur ein Frühstück mit Demonstrieren, später haben wir uns dann von der Stadt einen Arbeitslosentreffpunkt erkämpft, wo wir täglich Frühstück und Mittagessen anbieten und eine Werkstatt einrichten konnten– um gestiftete Fahrräder aufzuarbeiten. Auf der Basis sind wir dann wieder zur Stadt gegangen und haben gesagt: Wir wollen keine Zuschüsse. Wir wollen Arbeit.

À la fordern und fördern?

Das ging nicht um Ein-Euro- oder Zwangs-Arbeit – sondern angemessen bezahlt. Wir wollten einen marktgerechten Preis für bestimmte Aufgaben, die wir übernehmen würden. Das kam auch an und wurde weiterentwickelt.

Wie?

Wir hatten hier viele ältere Handwerker, die man im Stress des täglichen Lebens nicht mehr wollte. Die verfügten aber über große Erfahrung und Fähigkeiten. Die haben wir mit jungen Leuten zusammengebracht, und dann konnten wir alles Mögliche anbieten.

Aber die regulären Betriebe …?

Wir hatten das mit der örtlichen Wirtschaft abgesprochen. Erst hatte ich die aufgefordert: Nehmt doch wenigstens die Leute mit 100 Prozent Lohnkosten-Zuschuss – das gab’s ja damals noch. Aber das wollten die nicht. Wir sollten das selbst in die Hand nehmen. Da habe ich gesagt: Aber nicht überflüssig, zusätzlich, unnötig. Da müsst ihr uns schon einen Claim von eurem Markt abtreten.

Und die …?

… haben das gemacht. Sogar in die geschützten Gewerke durften wir rein. Wir haben in allen Bereichen Innungsmeister als Berater bekommen. Die Leute arbeiten ehrenamtlich, erwirtschaften damit Geld und wir verteilen das: Wir betreiben hier diese Arbeitslosenzentren, bieten Frühstück und Mittagessen an, können demonstrieren, plakatieren und vergeben Zuwendungen.

Als kirchlicher Verein?

Nein, eher eine Mischung. Ich war damals Gemeindepfarrer mit Schwerpunkt Arbeitswelt und sollte die Kontakte mit Gewerkschaften und Betrieben hier in Wedel organisieren. Der Auslöser war eine Veranstaltung zur Jugendarbeitslosigkeit: Dort waren Kommunalpolitiker, Gewerkschaftler und ein paar Betroffene, denen geraten wurde, sie sollten doch eine Selbsthilfegruppe gründen.Die haben das gemacht?

Die haben gesagt: Ihr seid ja nicht ganz bei Trost – wir wissen gar nicht, wie das geht! Da müsst ihr uns schon bei helfen. Und dann blieb das an mir hängen.

Passte das zu Ihrer Vorstellung vom Pastorenamt?

Klar passte das. Manche Geistliche sagen, dass sie mich beneiden, weil: Sie müssen zwischen den Stühlen sitzen. Und ich kann immer so einseitig parteilich sein. Hat also auch was für sich. Als Pastor – ich bin mal einer der jüngsten Pastoren in Deutschland gewesen – habe ich immer wider den Stachel gelöckt und war basisdemokratisch orientiert. Deswegen bin ich auch immer noch hier an der Basis – und fühle mich da auch wohl.

Wie ging es weiter mit der Initiative?

Wir haben das dann so organisiert, dass das ein eigenständiger Verein ist – der aber vom Ursprung her gewerkschafts- und kirchenfreundlich ist. So sind wir auch geblieben.

Die Initiative ist die Einzige ihrer Art beim Kirchentag. Wo sind die anderen?

Die gibt es fast alle nicht mehr.

Ach was!

Nein, die Initiativen, die selbstständig, kirchennah und unabhängig sind, so wie wir, die gibt’s einfach nicht mehr.

Warum?

Die sind plattgemacht worden. Teilweise, weil sie sich damals auch auf ABM-Basis eingelassen haben. Und es gab ja eine große Fluktuation. Es sind ja nicht ewig dieselben Leute, auch bei uns. Der Einzige, der ewig dabei ist, bin ich – und ein paar Rentner, die treu zu dieser Arbeit stehen. Weil ich das seit 25 Jahren als Pastor betreue, klappt das hier in Wedel ja auch, dass wir mit unseren Dienstleistungen aller Art Gelder einnehmen. Wir werden ja ständig kontrolliert und überprüft und misstrauisch beäugt …

von kirchlicher Seite?

Nein, von staatlicher: Auch weil wir nicht so staatsfromm sind. Wir demonstrieren seit Helmut Kohl gegen Kohl, danach gegen Schröder und jetzt gegen Merkel und Co. Jeden Montag verteilen wir zu zehnt auf dem Rathausplatz Flugblätter, wir machen Aktionen – und wir haben Erfolg. Zum Beispiel haben wir hier in Wedel zusätzliche Gelder für Schulanfänger mit Hartz IV durchgesetzt. Und wir beteiligen uns an den Kampagnen der gewerkschaftlichen Arbeitsloseninitiativen: Dieses Jahr ist das „Armut bekämpfen – Reichtum umverteilen“. Das werden wir auch auf dem Kirchentag verbreiten.