Es lauert ein Abschlepper vor Norderney

Die Oceanic ist ein Schiff für schwere Stunden: Wenn große Frachter in der Nordsee havarieren, zieht sie den Karren aus dem Wasser – und das seit über 30 Jahren. Die Besatzung des Notschleppers hält große Stücke auf die „alte Dame“, warnt aber davor, sich in zu großer Sicherheit zu wiegen

von Kai von Appen

Sie hätte längst ausgemustert werden sollen, die „alte Dame“. 35 Jahre hat sie auf dem Buckel und ungezählte Einsätze in schwerer See. Immer hat sie brav ihren Dienst getan, Tanker auf ihrem Weg durchs Wattenmeer ins offene Meer begleitet, Marineübungen über sich ergehen lassen und ist zur Stelle, wenn ein Schiff nicht mehr alleine von der Stelle kommt. Dann schlägt die Stunde der Oceanic, des stärksten Hochseeschleppers vor der deutschen Nordseeküste.

„Wir haben es einmal trotz Gegenwind bei Windstärke 12 in vier Stunden nach Sylt geschafft“, prahlt Albrecht Meier, Manager bei der Hamburger Reederei Bugsier, der das Schiff gehört und für jährlich 11,5 Millionen Euro über das Havariekommando (siehe Info-Kasten) an den Bund vermietet.

Damit sie möglichst schnell zu ihrem Einsatzort auslaufen kann, liegt die Oceanic vor der ostfriesischen Insel Norderney zwischen zwei Fahrrinnen in Warteposition. Nur einmal im Monat läuft das Schiff für wenige Stunden Cuxhaven an – dann wechselt die Mannschaft, Proviant und Treibstoff werden an Bord genommen.

Neben der eigentlichen Besatzung befinden sich zurzeit zehn Männer und Frauen etappenweise in der Ausbildung auf dem Schiff. „Die Crew muss Kenntnisse über die verschiedenen Schiffstypen haben, um ein Schiff fachmännisch an den Haken zu nehmen“, sagt der Bugsier-Mann Carsten Wibel. Und kalauert über die Aufgabe des Schiffs: „Ein Notschlepper muss nicht zur Not schleppen können, sondern in der Not.“

Zur regulären Besatzung gehört auch ein vierköpfiges Boardingteam, das im Ernstfall zum Havaristen übersetzt. „Wir müssen im Notfall davon ausgehen, dass die Besatzung tot ist“, sagt Wibels Kollege Meier. Doch das Übersetzen ist häufig auch im Alltag notwendig – im doppelten Wortsinn. „Oft bestehen Verständigungsschwierigkeiten mit der Besatzung, die weder deutsch noch englisch spricht, da ist es besser, wenn wir an Bord rübergehen“, sagt Volker Neske vom Boardingteam. Doch bei schwerer See sei dies nicht immer so einfach möglich. „Ab Windstärke 8 geht das nur noch über den Hubschrauber.“ Neske warnt davor, in der Oceanic eine Wunderwaffe zu sehen. „Wenn ein 300.000-Tonnen-Tanker mit 10 Knoten aus dem Ruder läuft, dann können wir ihn bei schwerer See auch nicht stoppen.“ Deshalb sei es wichtig, die Schiffssicherheit zu verbessern.

An ihre Grenzen kommt die Oceanic auch dann, wenn sich ein Schiff zu nahe an der Küste in zu niedrigem Wasser befindet. So wie 1998, als der Schlepper zu spät zur Bergung der „Pallas“ gerufen worden war, einem Frachter, der in Brand geriet und schließlich vor Amrum strandete. Zu dem Zeitpunkt, als die Oceanic noch hätte eingreifen können, hatte die Crew die Order bekommen, ein Schiff nach Stade zu schleppen. Die Pallas trieb da schon brennend und manövrierunfähig in der Nordsee. Das Problem: Die Wasser- und Schifffahrtsämter glaubten, die Katastrophe mit ihren eigenen beiden Mehrzweckschiffen in den Griff zu kriegen. Doch die „Neuwerk“ erlitt beim Einsatz selbst Schiffbruch, der „Mellum“ ging der Frachter vom Haken und der trieb ins seichte Wattenmeer. Dort lief die Pallas auf Grund, 1.900 Tonnen Öl verseuchten die nordfriesische Küste, 16.000 Seevögel verendeten.

Die selbst verschuldete Katastrophe bewirkte immerhin, dass die Oceanic doch nicht wie geplant aus Kostengründen ausgemustert wurde. Die Verträge werden mittlerweile nicht mehr nur für ein paar Monate verlängert. Bis Oktober 2005 ist sie sicher unter Vertrag, bis 2006 mit Option. Danach kann sich die Oceanic zur Ruhe setzen, zwei Jüngere sollen dann ihre Arbeit übernehmen.