Kein bisschen heilig

Bärbel Hedinger, seit Dezember Direktorin des Altonaer Museums, will weder Abgrenzung noch sakrale Stille. Sondern ein lebendiges, offenes Haus

Interview: Petra Schellen

Sie ist so etwas wie eine pragmatische Visionärin. Oder eine kreative Pragmatikerin? Wie auch immer: Genau wird man nicht erfahren, wie stark die Idealistin und die Realistin in Bärbel Hedinger ringen, die seit Anfang Dezember das Altonaer Museum leitet. Eins steht aber fest: Sie ist nicht bereit, sich von der derzeitigen Altonaer Museumsrealität einschüchtern zu lassen, sondern sieht im Gegenteil die freigelegten Kapitelle der Säulen im Erdgeschoss schon vor sich. Einen klaren Blick möchte sie haben, und sie weiß auch schon, wie sie den erzeugen wird.

taz: Warum kann im Altonaer Museum nicht alles bleiben, wie es ist? Die Besucherzahlen für 2004 sind doch passabel.

Weil sich das Museum unter Wert verkauft. Weil es weder die hier geleistete Arbeit noch die Sammlung angemessen würdigt und präsentiert. Und weil das Haus die Atmosphäre der 70er, 80er Jahre atmet, sich die Besucherbedürfnisse aber verändert haben.

Sind dies alles hausgemachte Probleme?

Nicht nur. Man muss auch sehen, dass sich kulturhistorische Museen derzeit deutschlandweit in einer Krise befinden. Denn aufgrund des Facettenreichtums ihrer Sammlungen lässt sich ein Profil schwer definieren. Wir werden also Wege finden müssen, uns zeitgemäß zu präsentieren.

Welche könnten das sein?

Einer der künftigen Schwerpunkte wird – neben einer Mode-Abteilung – die Spielzeugsammlung sein. Hier verfügt das Altonaer Museum über einen großen Fundus, der aber nicht angemessen präsentiert wird. Die Kaleidoskope und Eisenbahnen in den Glasvitrinen zum Beispiel sind sicher sinnvoll für jemanden, der Details betrachten möchte. Zusätzlich sollte man diese Geräte aber auch ausprobieren können; hierfür könnte man Nachbauten neben die Vitrinen stellen. Denn ein Museum sollte nicht aus toten Dingen bestehen, um die man ehrfurchtsvoll herumschleicht und die in sakrale Stille getaucht sind.

Würden Sie auch Originale zum Anfassen freigeben?

Das wäre mein Traum. Wir haben z. B. 60 Mangelbretter im Depot. Warum sollte man da nicht einige – historisch nicht so wertvolle – zum Nachschnitzen oder Bügeln zur Verfügung stellen? Und warum nicht einige Kleider des 19. Jahrhunderts aussortieren, damit Jugendliche sie anprobieren können?

Bedeutet das nicht einen Tabubruch?

Ich glaube nicht. Allenfalls einen anderen Umgang mit der riesigen Fülle an Gegenständen, die unzugänglich im Depot lagern.

Ist dies eine subtile Kritik an der bisherigen Sammelpraxis?

Nein, denn selbstverständlich muss man eine Sammlung hüten und für die Nachwelt bewahren. Aber man muss nicht wie Zerberus auf den Dingen sitzen und sie strikt vom Besucher abschirmen. Auch würde ich gern die Depots öffnen und Schaulager einrichten. Das können kleine Arbeitsräume sein, die von Gruppen benutzt werden, denen Ehrenamtliche z. B. Spielzeuge und Textilien erläutern.

Sie haben bei Amtsantritt von einem neuen Wegesystem im Museum gesprochen. Wie soll das aussehen?

Wir werden das Haus so umbauen, dass nicht nur mehr Transparenz, sondern auch spezielle Bereiche etwa für Kinder entstehen. Sie sollen Dinge ausprobieren können, ohne ständig ermahnt zu werden. Außerdem wollen wir zeigen, dass ein Museum immer eine Auswahl präsentiert und dass hier Restauratoren arbeiten, denen man über die Schulter schauen kann. Zudem muss die Sammlung fortgeführt, das heißt an die Gegenwart herangeführt werden.

Wie hoch ist Ihr Ankaufsetat?

Wir haben keinen, werden also andere Wege gehen. Derzeit bereiten wir z. B. für das Jenisch Haus eine Ausstellung über Brautmode vor – und wir besitzen kein Brautkleid aus den 70er und 80er Jahren. Da müssen wird also entweder Sponsoren finden oder einen Aufruf starten.

Wie verhält es sich mit der viel diskutierten Abgrenzung Ihres Hauses vom Museum für Hamburgische Geschichte?

Genauso, wie mit der angeblichen Überschneidung bei den Schiffs-Exponaten: Während das Museum für Hamburgische Geschichte Hochsee-Schifffahrt präsentiert, widmen wir uns der Elb- und Küstenschifffahrt. Und wo das Museum für Hamburgische Geschichte ganz Hamburg im Blick hat, sind wir stark im Stadtteil und in Norddeutschland verwurzelt. Eindrucksvollstes Beispiel ist die Geschichte der Zuwanderung, die bis ins 18. Jahrhundert zurückreicht und beweist, dass dies kein neuzeitliches Phänomen ist. Das Migrationsthema wird auch in Diskussionsveranstaltungen, die wir ins Haus holen möchten, seinen Platz finden. Überhaupt soll das Haus lebendiger werden; Filme, Konzerte und Foren können hier ein Anfang sein.

Wie beurteilen Sie das neu entstehende Internationale Schifffahrts- und Meeresmuseum Peter Tamm? Bedeutet dies nicht eine starke Konkurrenz?

Konkurrenz ist eine Herausforderung, das eigene Profil zu schärfen und die Schwerpunkte zu überdenken. Ich habe dazu verschiedene Ideen, über die wir nachdenken und die wir beizeiten publik machen werden. Darüber hinaus muss man ausloten, wie weit Sammlermuseen – und ein solches ist ja das Museum Tamm – mit städtischen oder staatlichen Museen kooperieren können und wie weit sie sich mit deren Sammlungen überschneiden. Abgesehen davon stellt sich natürlich die Frage, wie die Stadt kulturpolitisch verfährt und wie viele Museen sie sich leisten kann.

Wie gut ist das Altonaer Museum personell ausgestattet?

Sehr unzureichend. Meine Stelle eingerechnet, haben wir hier drei Wissenschaftler-Stellen. Darüber hinaus brauchen wir in jedem Fall zwei Volontäre sowie, idealerweise, zwei weitere Wissenschaftler. Diese Forderungen werden auch in dem Konzept enthalten sein, das ich im Mai vorlegen werde. Aber ich bin natürlich nicht im alleinigen Besitz der Weisheit: In den kommenden Monaten werde ich mit etlichen Historikern und Museologen sprechen, um Vorschläge zu unterbreiten, die nicht nur den veränderten Sehgewohnheiten gerecht werden, sondern auch eine programmatische Zuspitzung bedeuten, wie sie z. B. Themenausstellungen bieten können. Da könnte ich mir Themen wie „Spiel“ oder „Film/Foto/Medien“ vorstellen.

Welche Museen gelten Ihnen als vorbildlich?

In puncto Didaktik und Transparenz sind die skandinavischen Länder führend; Respekt habe ich auch vor dem Victoria and Albert Museum für Kunst und Design in London. Und wenn ich mir etwas wünschen darf, dann soll das Altonaer Museum ein Haus werden, das in einen lebendigen, aktiven Dialog mit seinen Besuchern tritt.