Der politisch Anspruchsvolle

taz-Serie „Arbeit ist das halbe Leben“ (Teil 5): Johannes Zerger ist Sprecher der Aktion Sühnezeichen und lebt in einer Familien-WG. Arbeit, die die Gesellschaft nicht verändert, interessiert ihn nicht

VON PHILIPP DUDECK

Der Mann muss lange nachdenken. Es gibt einfach keinen Job, den Johannes Zerger gegen seinen eintauschen würde. Nicht einmal für einen Tag. „Fallschirmspringen!“, sagt er plötzlich. „Fallschirmspringen, das ist etwas, was ich immer schon mal machen wollte. Ich hab dann auch mal einen Tandemsprung zum Geburtstag bekommen. Das hat Spaß gemacht.“ Aber wenn er sich für einen Tag einen Job aussuchen könnte, dann fällt ihm einfach nichts ein.

Johannes Zerger arbeitet bei Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) in Berlin. Seit acht Jahren ist er dort für Öffentlichkeitsarbeit und Fundraising zuständig. „Für mich ist es wichtig, eine Arbeit zu haben, hinter der ich stehen kann“, sagt Zerger. Sein Politikstudium hat er sich deshalb auch als Sozialarbeiter in einem Münchener Jugendzentrum finanziert. Und auch als Journalist hat er schon gearbeitet. Jetzt ist Johannes Zerger 43 und findet, dass er die richtige Mischung aus Herausforderung, Abwechslung und Inhalt in seiner Arbeit gefunden hat. „Journalismus hat mir gefallen, aber ich wollte einen Standpunkt vertreten und nicht nur passiv berichten.“ Bei ASF setzt er sich für die Verständigung zwischen den Generationen, Kulturen, Religionen und Völkern ein. Arbeit als reiner Broterwerb ist ihm fremd. „Eine Arbeit in der man sich nur selbst verwirklicht, die aber gesellschaftlich folgenlos bleibt, interessiert mich nicht.“

Politisches Engagement nimmt Johannes Zerger auch mit nach Hause. Seine Freizeit verbringt er zur Zeit im Vorstand eines Arbeitskreises, der sich für den Erhalt der Schülerläden in Schöneberg einsetzt. „Ich halte Schülerläden für eine ideale Betreuungsform. Es wäre wirklich Schade, wenn es die in Zukunft nicht mehr geben könnte.“ Ganz uneigennützig ist sein Engagement in diesem Fall allerdings nicht. Zergers Tocher heißt Miriam, ist sieben Jahre alt und besucht einen Schülerladen in Schöneberg. Wenn sie das nicht täte, hätte er wohl ein Problem mit seiner Tagesplanung. Von halb neun bis halb sieben sitzt Johannes Zerger jeden Tag im Büro. In der Früh fährt er Miriam zur Schule, am Nachmittag wird sie von seiner Frau Judith nach der Arbeit abgeholt. „Wir sind nicht verheiratet aber ich sag meistens ‚meine Frau‘. Schließlich sind wir schon seit zehn Jahren zusammen.“

Dienstag ist Kochtag. Da versucht Zerger, auf jeden Fall vor halb sieben aus dem Büro zukommen. An mindestens vier Tagen in der Woche wird in seiner WG zusammen zu Abend gegessen. Jeden Dienstag ist er der Koch. Johannes Zerger teilt sich mit Miriam, Judith und einem befreundeten Paar, das ebenfalls eine Tochter hat, eine 225 Quadratmeter-Wohnung in Schöneberg. Um sieben wird gegessen. „Das ist so eine kleine Tradition die wir ganz bewusst eingeführt haben“, sagt Zerger. „Ich hab mein ganzes Leben in WGs gewohnt. Wenn man so will, war auch schon meine Familie zu Hause eine große WG. Ich bin mit drei Brüdern im Allgäu groß geworden.“ Für viele Menschen sei ja eine Wohngemeinschaft nur etwas Vorübergehendes. Spätestens wenn dann Kinder kommen, würden sich viele in so eine Kleinfamilienwelt zurückzuziehen. „Nicht dass ich das verurteilen will“, sagt er und grinst dabei. „Aber für mich wär das halt nichts.“

Vor sechs Jahren hat Johannes Zerger mal nicht gearbeitet. Da hat er über ein Jahr Erziehungsurlaub genommen. „Das war mit die glücklichste Zeit meines Lebens. Ich hab mich um Miriam gekümmert und am Abend war der Tag einfach vorbei.“ Mittlerweile nimmt er sich auch Arbeit mit nach Hause. „Ich sitze auch manchmal noch am Wochenende vier Stunden am Schreibtisch. Das ist aber in Ordnung, weil ich in meiner Arbeit aufgehe.“

Trotzdem versucht Zerger, möglichst viel Zeit mit seiner Familie und den Freunden zu verbringen. Sogar in den Urlaub fährt die WG zusammen. Im Sommer waren sie an der Mecklenburger Seenplatte. „Leider nur für eine Woche.“ Viel Urlaub scheint es im Leben eines ASF-Pressesprechers nicht zu geben. Immerhin findet er ein wenig Zeit, mit seiner Frau allein etwas zu unternehmen. „Das ist im Moment ganz praktisch. Da gibt es fast jeden Samstag einen Kindergeburtstag. Da geben wir Miriam ab und gehen dann in eine Ausstellung oder auch mal ins Kino.“

Am Ende denkt Johannes Zerger noch einmal kurz nach. Wenn Arbeit nur das halbe Leben ist, was ist dann die andere Hälfte? „Arbeit soll nicht nur Broterwerb sein. Aber sie darf auch nicht alles sein, was man so macht im Leben“, sagt er dann. Rein rechnerisch gesehen wäre Arbeit ja sowieso viel weniger als das halbe Leben. Dann steigt er auf sein Fahrrad, auf dem ein pinkfarbener Kindersitz montiert ist, und fährt zur Arbeit.