Und der Himmel meint es auch nicht gut

Der Osten Sri Lankas besteht aus Matsch. Es regnet seit Tagen. Vor allem die Kirchen helfen den vielen Obdachlosen

BATTICALOA taz ■ Kein Wunder, dass so wenig Hilfe an die Ostküste vordringt. Es regnet beharrlich. Seit Tagen. Die Tropfen fielen schon, bevor die Flut kam. Der ganze Osten Sri Lankas ertrinkt. Bis zu einem halben Meter hoch steht das Wasser auf der Straße. Dass es nicht mehr weit ist bis zur Küste und ins Herz der Katastrophe, erkennt man erst, als Schulen und andere größere Gebäude auf dem Weg nach Batticaloa auftauchen, alle bis zum letzten Winkel mit Flüchtlingen besetzt – und Soldaten, die in voller Kampfmontur patrouillieren, als ob sie die feindliche Natur mit dem Sturmgewehr in Schach halten könnten.

In Batticaloa selbst, der zweitgrößten Stadt an der Ostküste, halten sich die Schäden in Grenzen. Eine schmale Landzunge hat den Ort vor dem Meer geschützt. Der Tsunami vernichtete aber die kleinen Dörfer, die den gesamten Küstenstreifen entlang wie Perlen aufgefädelt waren. Kallady war so ein Dorf. 1978-08-16, das Datum, an dem wohl der Grundstein gelegt wurde, steht an einer Hausecke in den Zement geritzt. Sie steckt schief im Sand. Die anderen Ecken sind großteils ganz vom Strand verschluckt. Vom Rest des Gebäudes ist keine Spur mehr zu sehen. „Dort, wo Kokospalmen stehen, wenn sie noch stehen, hat jemand gewohnt“, sagt der Mann, der die Delegation aus Colombo das Ufer entlangführt. Überall stehen Palmen.

Subajny Konalingham lebte mit ihrer Familie in Kallady. Jetzt liegt sie Allgemeinen Krankenhaus von Batticaloa, ihre Eltern haben nicht überlebt. Eine Schwägerin und eine Nachbarin sitzen am Krankenbett der 22-Jährigen. Sie hofft, dass die klaffende Fleischwunde an ihrem rechten Oberschenkel nicht vom Wundbrand befallen wird. Der Arzt, Dr. Shasli, ist optimistisch. Die Wunde ist zwar zu tief und breit, um genäht zu werden, doch eine Hauttransplantation vom anderen Schenkel könnte helfen. Wenn die knappen Antibiotika nicht ausgehen. Nur zwei Patienten sind seit der Katastrophe im Krankenhaus an Wundbrand gestorben. 250, alle hatten leichtere Verletzungen, sind bereits wieder entlassen. Die verbleibenden 350 haben teils schwere Knochenbrüche oder offene Verletzungen. Insgesamt wurden bis zum 31. Dezember 2.264 Tote in Batticaloa gezählt, 1.050 Personen gelten noch als vermisst.

Dr. Bavan, der stellvertretende Direktor der Klinik, lobt den Einsatz seines Personals: Es hat die ersten zwei Tage praktisch durchgearbeitet. Obwohl die Hälfte der Klinikangestellten selbst von der Katastrophe betroffen ist und sich noch nicht zum Dienst gemeldet hat, besuchen 15 mobile Teams auch die über hundert Notunterkünfte, wo die Überlebenden versorgt werden. Das ist möglich, weil zusätzlich medizinisches Personal aus Colombo und Kandy im zentralen Hochland nach Batticaloa zu Hilfe geeilt ist. So konnten bisher auch Epidemien verhindert werden. Durchfall und Erkrankungen der Atemwege seien vor allem unter den Kindern verbreitet, sagt Dr. Bavan. Das gefürchtete Dengue-Fieber und Malaria haben noch nicht zugeschlagen. Doch die hygienischen Zustände in manchen Lagern sind prekär.

Eins davon wurde im Festsaal des ehrwürdigen, 1874 vom Jesuitenorden gegründeten St. Michael's College eingerichtet. Um die 500 Menschen lagern hier, weitere 1.500 sind auf die Klassenräume verteilt oder campieren unter den Arkaden. Mit Stühlen und darüber geworfenen Tüchern haben Großfamilien oder Nachbarn versucht, sich ein wenig Privatheit zu schaffen. Sonst bietet das College nichts als ein Dach über dem Kopf, feste Steinwände und ausreichend Distanz zum Strand, wo viele nie wieder leben wollen.

Das Trauma sitzt tief. B. Vikneshwaran, 31 und Fischer, war – obwohl er schon einen ganzen Wochenfang zusammenhatte –, noch einmal aufs Meer gefahren. Es herrschte ruhige See. Kein Zeichen deutete das kommende Inferno an. Doch plötzlich sah der Fischer, wie sich das Wasser vom Strand zurückzog, um dann lautlos und mit ungeahnter Wucht über die Küste hereinzubrechen. Seine verzweifelten Warnrufe trugen nicht mehr bis zum Land. Zwei Kinder waren gerade gemeinsam auf dem Klo und wurden mitsamt dem hölzernen Verschlag hinweggespült. Von seinen fünf Kindern überlebte nur die achtjährige Tochter.

Die Eltern haben ihr ein grellgrünes Kleid geschenkt, es wirkt vergleichsweise fröhlich. Den Tod ihrer Geschwister hat sie noch nicht voll realisiert. Ihre Mutter, V. Nirmala, sitzt auf dem Steinboden des Festsaals und wischt sich immer wieder die Tränen aus den Augen. Ihr Vater sagt, er suche sich einen anderen Beruf, um vom Meer wegziehen zu können.

Dass die Versorgung der unzähligen Obdachlosen weitgehend klaglos funktioniert, ist indirekt dem Bürgerkrieg zu verdanken. Nach dem Waffenstillstand zwischen der Regierung und den Tamil Tigers vor fast drei Jahren öffneten zahlreiche Organisationen lokale Büros. Allein das Welternährungsprogramm der UNO (WFP) hat ausreichend Reserven, um 172.000 Gestrandete zwei Wochen mit Grundnahrungsmittel zu versorgen: Reis, Linsen, Zucker, Öl, etc. Zusätzlich kann auf dem lokalen Markt eingekauft werden. Nur Medikamente, vor allem Antibiotika, müssen eingeflogen werden.

Trotzdem sind die Behörden logistisch hoffnungslos überfordert. Bruder James Peires, der das St. Anthony's College leitet, versichert, dass von offiziellen Stellen für die Obdachlosen in seiner Schule nichts gekommen ist. Aber die Solidarität der von der Katastrophe verschonten Bevölkerung ist ungebrochen. Weder Katholiken noch Hindus oder Muslime kommen auf die Idee, sich exklusiv um die eigenen Leute zu kümmern. Spenden gehen also zum Großteil direkt an die in Lager umfunktionierten Gotteshäuser.

Jetzt hofft man in Batticaloa, dass der Dauerregen bald aufhört, damit die Straße wieder passierbar wird und die Küste aus ihrer Isolation auftaucht.

RALF LEONHARD