Vorsicht, Pathosforschung!

Pas de deux mit einem Besen: Das große Gefühl und die Angst vor der Lächerlichkeit bearbeitet Yvonne Hardt als Tanzhistorikerin und Choreografin, pendelnd zwischen Theorie und Praxis

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

Der Tanz war zuerst da, dann kam seine Geschichte. Denn „Bewegung als Bewegung ist nicht genug“, findet Yvonne Hardt. Sie hat getanzt, seit sie 13 war und in Berlin und Montreal die zeitgenössischen Techniken studiert. Aber je mehr ihr Körper lernte, zufrieden war sie nicht; vor allem fühlte sie sich intellektuell unterfordert, bis sie Geschichte und Tanzwissenschaft dazu nahm. Von da an aber begann ein neuer Erosionsprozess, „denn das Wissen um die historische Prägung“, sagt Yvonne Hardt, „zerstört die Möglichkeit, den Tanz als reine körperliche Form zu empfinden.“

So wurde Yvonne Hardt zu einer Tänzerin, Choreografin und Tanzhistorikerin, für die die Findung von Bewegungsmaterial gleichberechtigt neben der Analyse seiner Herkunft und den Konnotationen durch den Kontext steht. „BodyAttacksWords“ heißt ihre Kompanie, die Ambivalenz zwischen Körper und Sprache gleich in ein kämpferisches Bild fassend. Auf den Tanztagen, die in den Sophiensælen am 2. Januar begonnen haben, stellen sie sich heute mit ihrem neuen Stück „grenzwertig und andere Herzensangelegenheiten“ vor.

Bewegung als Bewegung ist nicht genug. Das war auch das Credo der Tänzer, die in der Zeit der Weimarer Republik den Ausdruckstanz gegen das Ballett stellten. Mit den Schnittpunkten zwischen dem Ausdruckstanz und den sozialen und politischen Bewegungen dieser Zeit hat sich Yvonne Hardt in ihrer Dissertation auseinander gesetzt, die Ende 2004 im Lit Verlag Münster unter dem Titel „Politische Körper“ erschienen ist. Tanz wurde in dieser Zeit nicht nur von den Tänzern selbst eine Kraft der gesellschaftlichen Veränderung zugetraut: Yvonne Hardt beschreibt, wie Zivilisations- und Sprachkritik dazu führten, den Körper als utopischen Ort anzusehen, an dem ein neues Erlebnis von Gemeinschaft entstehen konnte. Sowohl rechte wie linke Diskurse dockten an dieses Potenzial einer Erneuerung des Menschen über den Körper an.

Yvonne Hardt geht sehr genau auf die Selbstverortungen der Tänzer ein, die zum Teil explizit und reflektiert ihren politischen Standpunkt als Basis ihrer Körperbilder benannten, zum Teil aber auch gerade in der Verkennung der politischen Implikationen ihrer weltanschaulichen Konzepte einer Ideologisierung Vorschub leisteten. Nicht zuletzt beschreibt Hardt, wie die Rezeption des Ausdruckstanzes in der Nachkriegszeit sowohl in der Bundesrepublik wie in der DDR die einstige Heterogenität verschüttete und Unterschiede der Haltung verwischte.

Die meisten Protagonisten des Ausdruckstanzes glaubten an eine universelle und natürliche Körpersprache, die nur von den Verbildungen der Klassengesellschaft wieder befreit werden müsste. Yvonne Hardt dagegen hat gerade ihre Untersuchung dieser Wurzeln der Tanzmoderne gezeigt, dass auch die Sprache des Körpers ein sehr kontextabhängiges Produkt ist. Gerade die Belegung der Bewegung mit Bedeutung ist immer von der Geschichte geprägt. Hardt glaubt auch nicht an die Universalität von Gefühlen. Deshalb werden in ihrem Stück „grenzwertig und andere Herzensangelegenheiten“ immer wieder emotionale Befindlichkeiten wie „sadness“ oder „happyness“ in langen Begriffssammlungen aufgelöst, die viele unterschiedliche Schattierungen benennen.

Das neue Stück sucht, wie die Choreografin am Rande einer Probe erzählt, nach einer Form, „um die theoretische Ebene des Historisierens von Bewegungsbildern mit der Lust an der Bewegung zu verbinden“. Es ist eine Collage voller Witz. Ironisiert wird die Haltung des Wissenschaftlers, der mit seiner Sammelwut und Formvergleichen ganz vom Erlebnis abstrahiert, kaum weniger als die eines Tänzers, der Bewegung nur noch als Folge akrobatischer Schwierigkeitsgrade beschreiben kann. Vor allem nutzt Yvonne Hardt die Differenz zwischen einem perfekten Bild und der Arbeit an seiner Entstehung immer wieder zu Verzerrungen und komischen Entgleisungen. Untersucht wird vor allem pathetisches Material. „Heute ist nicht mehr der Tanz Ort für Pathos und Emotionen, das hat sich auf den Film verlagert“, befindet Yvonne Hardt und geht den Folgen dieses Verlustes in ihrem Stück nach.

Vorträge, wie emotionale Beteiligung hergestellt werden kann, unterbrechen dabei den Tanz, bis die Sprache selbst in einen Rhythmus aus Echo und Wiederholung übergeht und das Vortragen zur körperlichen Behauptung wird. Ein Romanausschnitt aus Siri Hustvedts „What I loved“ wird vorgelesen, der von Forschungen zur Hysterie erzählt. Historische Fotos von Hysterikerinnen und von Ausdruckstänzerinnen in einer Naturkulisse werden eingeblendet. Tänzer diskutieren über die Bedeutung einer Handgeste. Einer tanzt hinreißend, elegisch, gefühlvoll und doch auch sparsam einen Pas de deux mit einem Besen, bis beide wie vom Schlag getroffen auseinander fallen.

Immer bleibt die Bewegung des Pendelns zwischen Theorie und Praxis gegenwärtig und Werkstattatmosphäre liegt über dem ganzen Stück. So werden nicht nur verschiedene Materialien ausgebreitet, sondern auch ständig neue Lesarten vorgeschlagen, die das Gesehene verändern.

Die Bühne ist aber nicht der einzige Ort, an dem Yvonne Hardt das Thema der Glaubwürdigkeit von „Emotion und Pathos“ im Tanz heute und die Angst vor der Lächerlichkeit bearbeitet. Zusammen mit der Gesellschaft für Tanzforschung hat sie dazu ein Wochenende mit Vorträgen und Workshops für die Tanzfabrik organisiert (14.–16. Januar). So ist sie an mehr als einer Baustelle unterwegs, um den Blick von außen und die Erfahrung im Tanz zusammenzubringen.

Während wir noch reden, haben ihre Tänzer wieder zu proben begonnen. Ein Pärchen singt von der Liebe und weist mit den Händen zum Herzen wie auf alten Glanzbildern, die Musik übertönt die Worte der Choreografin. Ich schüttle nur noch den Kopf, weil ich sie nicht mehr höre und Yvonne Hardt lacht. Aber das passt zu ihrem Stück: Kaum in einem Kontext angekommen, wird man schon wieder hinausgeworfen.

„grenzwertig und andere Herzensangelegenheiten“. 5. und 6. Januar, 20 Uhr, Tanztage Sophiensæle. „Gemischte Gefühle. Emotion und Pathos im zeitgenössischen Tanz“. Vorträge und Workshops, 14. – 16. Januar in der Tanzfabrik, info unter produktion@tanzfabrik-berlin.de