Wo Kinder glücklich pauken

Das Klingende Mobil, ein umgebauter Doppeldeckerbus, besucht Kinder in Schulen und Kindergärten und veranstaltet mit ihnen Musikunterricht. Denn der kommt oft zu kurz, beklagen Experten

„An manchen Schulen erkennen die Kinder nicht mal eine Geige“

VON THOMAS JOERDENS

„Tuuuuuuuut“, dröhnt es wie das Nebelhorn eines Ozeandampfers durch den Raum. Marcel hält das Rohr am Mundstück der golden glänzenden Tuba noch fest umklammert wie ein Mikro und meint trocken: „Die kauf ich mir. Die klingt cool.“ Die anderen Kinder lachen und rufen: „Trompete! Trompete!“. Das Instrument macht die Runde. Manche Köpfe färben sich knallrot, bis es endlich aus dem Messingtrichter quietscht. Johlend halten sich die Mitschüler die Ohren zu. Andere Nachwuchsmusiker blasen auf Anhieb kleine Tonfolgen. Die krächzen zwar ebenso grässlich, aber das ist egal.

Auf einem roten Tuch liegen Querflöte, Klarinette, Oboe, Tuba, Euphonium, Posaune, ein Saxofon und zwei Trompeten. Drum herum sitzen im Kreis 13 Kinder der 4b von der Mary-Poppins-Grundschule in Gatow und lauschen Anna Schreiber vom Klingenden Mobil. Bevor die Viertklässler die schwere Tuba auf ihren Schoß wuchten und in die kreisrunde Öffnung pusten, lernen sie, dass es beim „Blech“ auf die Lippenspannung ankommt. Sonst wird das nichts mit den Tönen. Und wer auf einem Flaschenhals pfeifen kann, kommt auch mit einer Querflöte klar. Die 21-jährige Musikstudentin und Querflötistin Anna Schreiber erzählt den Kindern auch ein bisschen über Rohrtechnik, Tonhöhen und unterschiedliche Blätter für die Holzblasinstrumente. Doch die meiste Zeit tröten die Neun-bis Elfjährigen nach Herzenslust und zeigen sich gegenseitig, wie’s funktioniert.

„Das Wichtigste ist, dass die Kinder mal ein Orchesterinstrument in den Händen halten, Töne produzieren und so einen Zugang bekommen“, meint Annika von Lüpke, die zweite „Instruktorin“ vom Klingenden Mobil an diesem Tag. Sie präsentiert der anderen Hälfte der 4b ein Stockwerk höher gerade Streichinstrumente: Gitarre, Cello, Geige. Nach einer Unterrichtsstunde wird gewechselt, sodass alle Kinder sämtliche Instrumente ausprobieren können.

Das Klingende Mobil, ein umgebauter Doppeldeckerbus mit Faltdach, gehört zum Klingenden Museum und hat seit Schuljahresbeginn über 40 Schulen, Kitas und Jugendeinrichtungen besucht. Der Dirigent Gerd Albrecht hat das Museum 1989 in Hamburg gegründet und gibt Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen die Möglichkeit, unter professioneller Anleitung Instrumente zu entdecken. Das Museum, untergebracht in der Hamburger Musikhalle, besuchen jährlich rund 5.000 Menschen. In Berlin und Brandenburg rollt die Musik neuerdings zu den Kindern. Der bunt beklebte Bus mit Open-Air-Bühne wurde mit 150.000 Euro Spendengeld finanziert und ist mit etwa 50 Instrumenten bestückt. Zum Team gehören insgesamt rund dreißig Musikpädagogen und Musiker.

Musikalische Früherziehung fördert nicht nur junge Talente. Musizierende Kinder lernen außerdem leichter, sie sind intelligenter, kreativer und besitzen eine höhere Sozialkompetenz, meint Hans Günther Bastian, Direktor des Instituts für Musikpädagogik in Frankfurt a. M. Doch im Grundschulalltag wird Musik häufig vernachlässigt, und in den Kindergärten fällt sie häufig ganz unter den Tisch. Dort wird oft nicht einmal mehr gesungen. Bettina Wertheim, Geschäftsführerin beim Klingenden Museum in Berlin, verweist auf eine Studie des Verbands Deutscher Schulmusiker. Danach fallen „bis zu 80 Prozent der Musikstunden an Grundschulen aus oder werden von fachfremden Lehrern erteilt“.

Klaus-Ernst Behne von der Hochschule für Musik und Theater in Hannover beobachtet seit 15 Jahren einen Wandel, wonach deutlich mehr Musiklehrer als Musiker ausgebildet werden müssten. Doch um den Pädagogennachwuchs steht es schlecht, wegen des vorangegangenen mangelhaften Musikunterrichts. „Das merken wir daran, welche Erstsemester zu uns kommen und was sie musikalisch draufhaben“, berichtet der Hochschullehrer.

Dabei ist der Drang zur Musik vorhanden. 10.000 Schüler stehen auf den Wartelisten der Berliner Musikschulen; doch die kosten Geld. Einige musikalische Löcher an den öffentliche Schulen sollen Klingende Mobile stopfen, die auch für Hamburg, München und Wien geplant sind.

Annika von Lüpke, die von Beginn an beim Klingenden Mobil mitfährt, fand ihren Job anfangs desillusionierend. „An manchen Schulen erkennen die Kinder nicht mal eine Geige“, sagt die 23-jährige Violinistin. Trotz der Lücken weiß sie, dass die meisten Kinder sofort mitmachen, die Instrumente zupfen und streichen sowie gemeinsam improvisieren. Die junge Frau bringt den Schülern keine Lieder bei, sondern vermittelt neben dem sinnlichen Erlebnis musikalische Tugenden, die auch im wirklichen Leben gelten: aufeinander achten, sich anschauen und sich absprechen.

An der Mary-Poppins-Grundschule falle kaum Musikunterricht aus. Außerdem lernten zahlreiche Schüler ein Instrument, sagt Nicola Rughöft. Die Musiklehrerin hat den Instrumentenbus gleich für zwei Tage engagiert, damit alle 140 Jungen und Mädchen der vierten und fünften Klassen etwas davon haben. „Das ist eine tolle Gelegenheit, so viele Instrumente an die Schule zu holen, die auch noch benutzt werden können“, freut sich die Pädagogin. Die Hobby-Bratschistin bringt zwar manchmal ihre privaten Instrumente mit in den Unterricht, gibt diese aber ungern aus der Hand. Im Schulfundus befinden sich hauptsächlich Perkussionsinstrumente und ein E-Piano.

Die Grundschüler sind begeistert vom Klingenden Mobil, favorisieren Klarinette, Euphonium oder Cello. Doch das beliebteste Instrument ist am Ende gar kein Klassisches. „Bist du bereit? Ist dein Publikum auch bereit?“ Die Kleinen nicken, und Annika von Lüpke dreht den Verstärker auf, in den eine E-Gitarre gestöpselt ist. Vanessa, Dion, Marcel und die anderen hauen nacheinander mehr oder weniger temperamentvoll in die Saiten und fühlen sich für einen Moment wie Rockstars, die bei den Schülern offenbar höher im Kurs stehen als klassische Musiker.

Weitere Informationen zum Klingenden Mobil gibt es beim Förderverein (Schinkestraße 8–9, 12047 Berlin) unter 030 - 39 99 35 - 22, per E-Mail (info@klingendes-museum.de) oder im Internet: www.klingendes-museum.de. Das Klingende Mobil kostet 261 Euro für vier Schulstunden.