HAMBURGER SZENE
: Schiffbruch einer Stadt

Die Kräne ragten so stumm in den leeren Himmel wie Kirchtürme zu Ehren eines Gottes, der den Menschen verlassen hat

Wer in Hamburg mit Ortsunkundigen unterwegs ist, kann sich die Zeit damit vertreiben, bei jedem zweiten Gebäude auf die Schiffsmetaphorik, und damit auf die Allgegenwart des Hafens in der Stadt hinzuweisen: Guck mal da, ein Oberdeck. Hier, ein Heck. Schön was, wie ’ne Reling. Und die Treppe dort: Soll ein Fallreep sein. Am Hafen selbst verdichtet sich das noch einmal, etwa in dem Teherani-Bau, auf den man sich regelrecht einschiffen kann: Schwups geht es hinauf, das Fallreep, aufs Oberdeck und schon lehnt man sich über die Reling und schaut über den Bug in die braunen Fluten. Es geht auf große Fahrt! Oder auch nicht.

Ein Mann neben uns weist auf die gegenüberliegende Elbseite: „Früher, da haben sich die Container dort mehr als dreimal so hoch gestapelt.“ Dann zeigte er ringsum auf die Verladeanlagen: „Nichts bewegt sich.“ Ja: Die Kräne ragten so stumm in den leeren Himmel wie Kirchtürme zu Ehren eines Gottes, der den Menschen schon seit langem verlassen hat. Und als wir den Atem anhielten, da hörten wir ihn: den Welthandel – wie er ganz leise brummte, oder sagen wir lieber schnarchte. Und mit ihm die Stadt.

Als wir hinabstiegen, sah ich den Mann noch immer dort oben stehen, das Kinn gereckt und weißes wellendes Haar. Er würde es als letzter verlassen, schon klar, das sinkende Schiff.MAXIMILIAN PROBST