Mehr Lohn bringt mehr Aufschwung

DIW prognostiziert 1,8 Prozent Wachstum und stellt sich gegen Forscher-Mainstream. Zur weiteren Erholung sei wichtig, nicht länger staatliche Investitionen zu kürzen, sondern Löhne zu erhöhen – Binnennachfrage sei noch immer erschreckend schwach

AUS BERLIN MATTHIAS URBACH

Die Konjunkturforscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) sind traditionell eher zurückhaltend, wenn es darum geht, das Wirtschaftswachstum einzuschätzen. Diesmal jedoch preschen sie mit einer sehr optimistischen Zahl vor: Um 1,8 Prozent werde vermutlich die Wirtschaft in diesem Jahr wachsen, verkündete gestern DIW-Konjunkturchef Alfred Steinherr, 2006 noch einmal um 2,0 Prozent. Andere Institute gehen dagegen von Zuwächsen zwischen 0,8 und 1,3 Prozent aus. Damit stützen die DIW-Forscher den Ansatz von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement, der trotz Gegenwind von 1,7 Prozent ausging.

Grund für den Optimismus ist die Einschätzung, dass die Weltwirtschaft nach der leichten Dämpfung des Wachstums im alten Jahr wieder an Schwung gewinnen werde. Die deutsche Exportwirtschaft werde aufgrund ihrer „hohen Wettbewerbsfähigkeit“ wieder die Konjunktur tragen, erklärten die Forscher bei der Vorstellung ihres aktuellen Wochenberichts „Grundlinien der Wirtschaftsentwicklung“. Der private Konsum sei dagegen erneut die „Achillesferse der Konjunktur“.

Sehr skeptisch sehen die Forscher den Ruf nach weiteren Lohnkürzungen. Die Lohnstückkosten, also der Anteil der Lohnkosten am Wirtschaftswachstum, sind „in den vergangenen zehn Jahren – als Folge niedriger Lohnzuwächse – konstant geblieben“, schreiben die Forscher in ihrem Bericht. In den USA stiegen sie dagegen um 17, im Euroraum um 18 Prozent. Damit nehme die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber diesen Handelspartnern „permanent zu“. Zwar war dieser Ausgleich zum Teil durch die Folgen der Wiedervereinigung gerechtfertigt, doch inzwischen sei die nötige Korrektur erfolgt. Die geringen Lohnzuwächse dämpfen aber die Binnennachfrage: „Außen- und binnenwirtschaftliche Entwicklung sind nicht mehr ausbalanciert.“

Die schwächere Binnenkonjunktur erodiert wiederum die Staatsfinanzen, weil auf Exporte keine Mehrwertsteuer gezahlt wird. Zudem geraten Länder mit geringem Wachstum schnell an die Maastrichter Defizitgrenzen, was zu weiterem Sparzwang des Staates führt – zu Lasten der Binnennachfrage. Nehme man Inflationsrate und Produktivitätszuwächse als Leitlinie für Lohnerhöhungen, so ergebe sich ein „Spielraum für die effektiven Lohnzuwächse von jährlich etwa 3 Prozent“, schreiben die DIW-Experten. Sie erwarten allerdings 2005 nur einen Lohnzuwachs von einem Prozent. Hier sei ein Umsteuern nötig, warnt das DIW. „Geringe Lohnsteigerungen und eine schwache Binnenkonjunktur in Deutschland gefährden sonst die konjunkturelle Erholung im gesamten Euroraum.“

Um eine höhere Beschäftigung zu erreichen, sei es dennoch ratsam, die Lohnkosten zu drücken – allerdings über geringere Lohnnebenkosten für die Sozialversicherungen. Hier schlägt das DIW vor, dass der Steuerzahler stärker an den Beiträgen beteiligt wird. Finanzieren könne man das durch eine höhere Mehrwertsteuer.