in fußballland
: Do-it-yourself-Voodoo

CHRISTOPH BIERMANN über kunstvolle Eingrabungen im Stadion des einstmals durchaus ruhmreichen SC Westfalia Herne

Christoph Biermann, 44, liebt Fußball und schreibt darüber.

Wir mussten nicht einmal ins Stadion einbrechen, obwohl wir im Dienste der Kunst auch dazu bereit gewesen wären. Wie unser Trip mit Spaten und laminiertem Totem überhaupt in höherem Auftrag stattfand. Allerdings war er heikel, weshalb wir uns erst abends nach Herne zum Stadion am Schloss Strünkede aufgemacht hatten. Wir brauchten den Schutz der Dunkelheit, schließlich wollten wir den Anstoßpunkt umgraben.

Robert und ich trugen dazu jene braunen Jacken, die er zum Teil seines Kunstprojekts gemacht hatte. Es waren Jacken von der Sorte, wie amerikanische Handwerker sie tragen. Seine war mit geschwungenen Buchstaben verziert, die sagten: „We Dig“. Das sollte heißen: „Wir haben verstanden“, aber wörtlich übersetzt bedeutete es auch: „Wir graben!“ Außerdem stand auf dem Rücken „Kalaman Int.“ und „No Job Too Small“. Robert hatte die Jacke in New York zufällig gefunden und weil sein Künstlername Kalaman ist, den er wiederum vom Klingelschild seines ersten Ateliers in Köln übernommen hatte, bestand eine besondere Beziehung zwischen dem Kleidungsstück und ihm.

Irgendwie war er über die gefundene Jacke auf die Idee gekommen, gemeinsam mit jenen zu graben, die etwas ein-, aus- oder zu verbuddeln hatten. We dig, im Wortsinne also – oder in welchem auch immer. Kalaman wollte das dokumentieren, und als einen Ausweis der gemeinsamen Grabungsarbeit gab es besagte braune Jacken. Er hatte einige davon in den USA bestellt, vorne rechts stand jeweils der Name des Mitgräbers.

So waren wir nach Herne gekommen und betraten voller Kunstwillen das nicht abgeschlossene Stadion des einst ruhmreichen SC Westfalia, der zu jenen Tagen jedoch nur in der sechstklassigen Landesliga Westfalen, Gruppe 3, spielte. Kalaman, selbst ein guter Fußballspieler und Fan des 1. FC Köln, bestaunte das immer noch eindrucksvolle Stadion mit der großen Haupttribüne, in dem der Klub meiner Heimatstadt in den 50er-Jahren des letzten Jahrhunderts noch Endrundenspiele um die deutsche Meisterschaft absolviert hatte. Ich selbst hatte dort miterlebt, wie Westfalia Mitte der Siebziger noch einmal in die damalige Zweite Liga Nord aufgestiegen war und dort Borussia Dortmund vor fast 30.000 Zuschauern mit 2:1 besiegte. Dann verließen den Klub die Kräfte, vor allem landete der Mäzen im Gefängnis, und ein langer Abstieg vollzog sich.

Im Mittelkreis begann ich vorsichtig den Anstoßpunkt auszustechen, während Kalaman meine Grabung fotografierte. Eine Handbreit tief ging ich und legte das Erdstück zur Seite, um die Erde darunter noch weiter aufzulockern und das Mitgebrachte im Erdreich zu versenken. Es war ein Foto des ehemaligen Herner Torschützenkönigs Jochen Abel, behängt mit einem Siegerkranz, als gerade der Aufstieg in die Zweite Liga geschafft ist, sowie eine Eintrittskarte zu einem Zweitligaspiel von Westfalia. Kalaman hatte beides zusammen eingeschweißt, und fortan sollten die Erinnerungsstücke vom Anstoßpunkt ihre gute Wirkung tun. Zur Bekräftigung der selbst gemachten Magie hüpften wir den Anstoßpunkt ein wenig tribalistisch wieder fest, wären damit aber bei wohl keiner Naturreligion aufgenommen worden.

Überhaupt entfaltete unser Do-it-yourself-Voodoo seine Wirkung zunächst nur zäh. Am Sonntag nach der Grabung schauten wir uns den Landesliga-Rückrundenstart der Saison 1997/98 an, den Kalaman per Video dokumentierte. Leider war er vor allem schmerzhaft langweilig, und Westfalia schaffte gegen den VfL Schwerte nur ein Unentschieden. Der Aufstieg gelang am Ende der Spielzeit dann aber doch, im folgenden Sommer schaffte es Westfalia sogar in die Oberliga, und ich sah mich schon als Hohepriester eines neuen Fußballkults. Inzwischen ist das magische Potenzial aber erschöpft und etwas frisches Voodoo täte dringend Not, denn der SC Westfalia 04 spielte im Jahr seines 200. Geburtstags wieder nur in der Fünften Liga. Gut, dass wenigstens die Kunst geblieben ist.