Satire für die anderen

An „Das Märchen von der Arbeitslosigkeit“ glauben nur die, die einen Job haben, sagt Wolfgang Tornow. Über seine Erfahrungen mit dem Arbeitsamt hat der Hamburger ein Buch geschrieben

„Ein 1-Euro-Job ist ein unmoralisches Angebot. Dahinter steckt die Denke: Die sollen sich auch mal nützlich machen“

Interview: Deike Uhtenwoldt

taz: Wie sind Sie auf „Das Märchen von der Arbeitslosigkeit“ gekommen?

Wolfgang Tornow: Ich hatte schon in der ersten Phase meiner Arbeitslosigkeit das Bedürfnis, meine Erfahrungen mit dem Arbeitsamt, wie es damals noch hieß, zu Papier zu bringen. Dieses niederschmetternde Gefühl, nicht gebraucht zu werden und versagt zu haben. Die psychischen und emotionalen Folgen der Langzeitarbeitslosigkeit, noch verschlimmert durch die infantilen Verhörmethoden der Vermittler, die trotz diverser Fragebögen, Bewerbungstrainings und langer Gespräche am Ende immer nur eine Botschaft für die Arbeitssuchenden haben. Und die lautet: „Wir haben nichts für Sie.“ Aber es hat lange gebraucht, bis ich zwischen Ratgeberliteratur, Erfahrungsbericht und Sachbuch die richtige Form gefunden habe.

Und das war dann ein satirisches Märchen, in dem Sie selbst die Hauptrolle spielen?

Der Roman trägt autobiografische Züge, aber es sind auch die Erfahrungen vieler anderer Arbeitsloser mit eingeflossen. Ich habe über 200 Betroffene befragt.

Die Arbeitslosen sollen sich also in Ihrer Satire wiederfinden?

Das Buch richtet sich an die anderen, die Arbeit haben und immer auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Für diese Menschen ist die Arbeitslosigkeit ein Märchen. Sie glauben, mit ein bisschen gutem Willen finde sich schon alles. Und dass Arbeitslose zu wählerisch seien, weil sie nicht jede Arbeit annähmen. Die Arbeitswelt sieht Arbeitslose als Täter, die den Beschäftigten nur auf der Tasche liegen. Aber in Wahrheit sind Arbeitslose Opfer. Mein Buch zeigt auf, wie der Prozess aus Selbstzweifeln, immer neuen Enttäuschungen und Schikanen aus motivierten Bewerbern hoffnungslose, gebrochene Menschen machen kann.

Aber wie passt der Buchtitel „Sei Hartz“ dazu?

Zunächst einmal heißt er „Sei Hart“, das „z“ ist ja in einer kleineren Type nur angehängt. Die Botschaft lautet: Die Zeiten sind hart, wer sich ihnen nicht anpasst, geht unter. Wer sich auf die Arbeitsagenturen verlässt, ist verloren.

Und die Anspielung auf die neuen Gesetze zur Arbeitsförderung ist nichts weiter als ein Wortspiel?

Darin steckt sowohl eine Aufforderung: „Lass dich nicht unterkriegen“ als auch Realsatire: „Mach dich gläsern“ oder „Nimm den 1-Euro-Job und sei dankbar dafür“.

Bietet Hartz IV nicht die Chance, Arbeitslose wieder in den Arbeitsmarkt zurückzuführen?

Ich hätte es als Langzeitarbeitsloser begrüßt, mich wieder nützlich zu machen, vollwertig unter Menschen zu sein. Aber doch nicht in Form einer Zwangsarbeit, die den Niedriglohnsektor noch unterbietet. Wenn ich jetzt zum Schneeschippen geschickt werde, werde ich doch erst recht aus einem möglicherweise bevorstehenden Arbeitsprozess herausgenommen.

Es gibt doch viele Jugendliche, die noch nie vollbeschäftigt waren. Wie wollen Sie die denn in den Arbeitsmarkt eingliedern?

Lieber mit einem halbjährigen Praktikum als mit einem 1-Euro-Job. 1-Euro-Jobs bremsen die Eigenverantwortung, weil sie aufgezwungen werden. Vor allem überschreiten wir damit eine moralische Hemmschwelle. Ein 1-Euro-Job ist ein unmoralisches Angebot. Dahinter steckt die Denke: Die sollen sich auch mal nützlich machen.

Aber Sie beklagen doch selbst, dass es nicht genug Arbeit in Deutschland gibt. Wie soll denn die Politik das Problem ohne Zugeständnisse an die Wirtschaft lösen?

Ich bin kein Politiker, ich muss darauf keine Antwort haben. Aber es kann nicht angehen, dass die Politik sich derart von der Wirtschaft dominieren lässt.

Sie haben jetzt wieder einen Job. Befriedigt Sie die Arbeit als Call-Center-Agent?

Die Frage stellt sich im Berufsleben nicht. Es ist ein Job, ich habe nette Kollegen, ich kann mich damit über Wasser halten und bleibe zeitlich flexibel.

Haben Sie Angst vor der Zukunft?

Ja, die gesellschaftliche Entwicklung erfüllt mich mit Sorge. Wir bewegen uns auf eine fatale Spaltung der Gesellschaft zu – in Nicht-Arbeitslose und in Arbeitslose.

Wolfgang Tornow liest heute (Samstag) ab 19 Uhr in der Star-Bridge-Bar in der Max-Brauer-Allee 227 aus seinem Buch „Sei Hart(z). Das Märchen von der Arbeitslosigkeit“