„Wir brauchen höhere Deiche“

Der Klimawandel wird der Region einen steigenden Meeresspiegel, stärkere Tiden und heftigere Sturmfluten bescheren, sagt eine Studie im Auftrag des Forschungsministeriums. Nur bis zum Küstenschutz ist das noch nicht durchgedrungen

taz: Niedersachsen hat vor wenigen Wochen neue Deichhöhen-Berechnungen vorgelegt. Waren Sie damit zufrieden?

Michael Schirmer, Biologe an der Universität Bremen und Deichhauptmann Rechts der Weser: Nein. Wenn man sich die Berechnungsgrundlagen ankuckt, dann ist da an keiner Stelle ein Hinweis darauf, dass in der Zukunft der Meeresspiegel beschleunigt ansteigt. Man ist also im Grunde genommen von veralteten Daten ausgegangen. Die entscheidende Größe steckt da nicht drin.

Der Klimawandel?

Ja. Wobei niemand so genau weiß, wie schnell die Sache fortschreiten wird. Dass sie fortschreiten wird, ist völlig klar. Wir sind mittendrin. Die globale Temperatur ist in den letzten 100 Jahren um 0,6 Grad hochgegangen. In geologischen Zeiträumen ist das dramatisch.

Gibt es auch hier in der Region bereits Anzeichen für diese Veränderung?

Jede Menge. Die Temperaturen sind hier noch stärker angestiegen als im globalen Durchschnitt. Arten wie die Zebraspinne, die früher nur im Mittelmeerraum vorkamen, siedeln heute schon bis Schleswig-Holstein. Am Weserufer finden Sie Riesenmengen an Körbchenmuscheln, in der Weser selbst laichen die Meeräschen. Die Sommer werden trockener, dafür regnet es intensiver. Insgesamt kommt mehr Wasser herunter. Das ist genau das, was die Modelle der Klimaforscher prognostiziert haben.

Ist der Klimawandel auch bei den hiesigen Pegeln messbar?

Es fängt gerade an. In den letzten 40 Jahren etwa ist der Meeresspiegel hierzulande zwei- bis dreimal so schnell wie zuvor gestiegen.

Bremen hat hohe Deiche und starke Pumpwerke. Reicht das nicht aus?

Im Moment schon. Aber das Wetter ist unberechenbar. Wir haben überall Sicherheitszuschläge eingebaut, aber wir werden weiterhin vorsorgen müssen. Das wird dazu führen, dass wir, wo immer wir eine Pumpe erneuern, eine stärkere einbauen. Dann muss vielleicht hier oder dort ein Fleet oder ein Graben erweitert werden.

Man wird auch um höhere Deiche nicht umhinkommen.

Ja, das ist eindeutig. Wir müssen damit rechnen, dass der Meeresspiegel in Zukunft nicht nur schneller als früher ansteigt, sondern dass auch von diesem höheren Niveau ausgehende Sturmfluten durch noch stärkere Stürme dann noch höher auflaufen könnten. Bei der Berechnung unserer zukünftigen Deichhöhen müssen wir also frühzeitig so einen Klimazuschlag einführen. Zumal wir Alternativen zu einer Erhöhung der Deiche praktisch nicht haben.

Um welche Größenordnungen geht es denn?

In unserer Untersuchung haben wir für das Jahr 2050 mal einen 40 Zentimeter höheren Meeresspiegel weltweit angenommen. Aufgrund der geologischen Situation kommen für unsere Region da noch mal 15 Zentimeter drauf. Zusätzlich werden wir bei höherem Meeresspiegel auch eine Veränderung der Gezeiten haben, das Tidehochwasser kommt nochmal ein bisschen höher. Summa summarum sind wir ganz schnell bei bis zu 70 Zentimetern. Das plus etwas kräftigerer Wind und Sturmfluten führt dazu, dass wir die Deiche an vielen Stellen um mehr als einen Meter erhöhen müssen. Am Fuß werden sie dadurch vorne und hinten um 30 Meter breiter – man kann ja nicht nur oben was draufpacken. An vielen Stellen muss man sie dann ganz neu bauen. Und das geht sofort in die Hunderte von Millionen Euro, zum Beispiel für die niedersächsische Küste.

Die niedersächsischen Deichplaner wollen davon bislang nichts wissen. Findet der Klimawandel auf dem Papier nicht statt?

Nein, noch nicht. Das niedersächsische Deichgesetz ist in dieser Hinsicht veraltet. Der Klimawandel ist in den Köpfen auch mancher Leute, die tagtäglich mit Küstenschutz und Ähnlichem zu tun haben, noch nicht ganz angekommen. Er wird immer noch infrage gestellt, zum Teil mit dem Hinweis, man müsse genauere Zahlen haben. Aber genauere Zahlen habe ich erst, wenn die Katastrophe richtig eingetreten ist. Der Küstenschutz hat immer in eine ungewisse Zukunft hineingebaut, und man hat immer gesagt: Lass uns noch einen Spaten mehr drauftun, zur Sicherheit. Nur plötzlich wird so getan, als müsse der Klimawandel erst hundertprozentig ausgerechnet sein. Das ist so nicht akzeptabel. Interview: A. Simon

Bastian Schuchardt, Michael Schirmer (Hg.): Klimawandel und Küste. Die Zukunft der Unterweserregion. 80 Euro.