Ahonen wird nicht zum Hannawald

Der schweigsame Finne wird beim letzten Tournee-Springen in Bischofshofen zwar vom Österreicher Martin Höllwarth geschlagen, bleibt für die Konkurrenz nach zehn Siegen in zwölf Springen aber dennoch ein unergründliches Phänomen

AUS BISCHOFSHOFEN KATHRIN ZEILMANN

Da hatten sich die Menschen vom Fernsehen solche Mühe gegeben: Wenn bei der Entscheidung der Vierschanzentournee die deutschen Springer schon nur Zaungäste sein würden, dann sollte zumindest Janne Ahonen bei seinem Versuch, sich den vierten Einzelsieg zu sichern, ordentlich in Szene gesetzt werden. Ahonens Gattin, der dreijährige Sohn und sogar die Frau Mama waren von RTL heimlich eingeflogen worden, im Auslauf der Bischofshofener Schanze sollten sie den Vierfachsieger in Empfang nehmen. Dumm nur, dass Martin Höllwarth offenbar in diese Planungen nicht eingeweiht war – und Ahonen den vierten Sieg einfach vor der Nase wegschnappte.

So schrieb der Sport auch bei dieser Tournee seine eigene Geschichte – und da ließ er sich auch von den findigen Fernsehstrategen nicht hineinpfuschen. Alleine das Springen fesselte den Zuseher, er hätte eigentlich gar keine Familienzusammenführung unterm Flutlicht gebraucht. Ahonen war Vierter nach dem ersten Durchgang, im Finale hatte er drei Konkurrenten noch überflügelt, doch Höllwarth war vor heimischem Publikum einfach zu stark. Und so hatte Ahonen am Ende den überlegenen Gesamtsieg und freute sich mit Tränen in den Augen über das Wiedersehen mit der Familie, und Höllwarth sowie ganz Austria jubelten über den ersehnten Einzelsieg.

„Martin ist glücklich, ich bin glücklich, und Sven Hannawald ist auch glücklich“, fasste Ahonen den letzten Tourneeabend treffend zusammen. Denn Hannawald bleibt somit der einzige Vierfachsieger und wurde sich als Zuschauer bewusst, wie einmalig doch nach wie vor sein Erfolg ist. Ahonen wiederum hat sich als besiegbarer Athlet und als Mensch mit Gefühlen erwiesen. Es rührte schon, wie der sonst so unterkühlte Finne mit dem Sohn auf dem Arm im Auslauf stand. Dabei hatte man sich fast schon damit abgefunden, dass ihm kaum Emotionen zu entlocken sind, dass er still, schweigsam und zurückhaltend ist und seine Sprünge funktionieren wie ein Uhrwerk.

Doch auch wenn Höllwarth ihn nun geschlagen hat, Ahonen ist immer noch der Beste des Winters. Und woher seine Überlegenheit rührt, darüber wurde in diesen Tourneetagen viel spekuliert. Österreichs nordischer Renndirektor Toni Innauer, eine Koryphäe, was das Schanzenspringen betrifft , meinte im SZ-Interview beeindruckt: „Ahonen macht etwas, was man in der Lehrmeinung bisher für unvereinbar gehalten hat: dass man aerodynamisch so gut springt wie er und trotzdem so viel Krafteinsatz bringt. Es gibt Schanzenstreichler, die einen sehr, sehr tiefen Oberkörper am Schanzentisch haben, möglichst wenig Geschwindigkeit verlieren und möglichst weit in die Vorlage gehen. Wenn ich das aber mit einem sehr kraftvollen Absprung mache, stürze ich normalerweise ab. Ahonen hat eine Lösung gefunden, beide Dinge zu verbinden.“ Was nichts anderes heißt als: Ahonen gilt auch in der Fachwelt als jenes Phänomen, als das er dem Laien erscheint.

Der deutsche Bundestrainer Peter Rohwein glaubt beispielsweise, dass der Finne Scharniere statt Sehnen im Fußgelenk habe – und deshalb, so hätte man in der Videoanalyse beobachtet, die Füße unglaublich weit zum Unterschenkel hin anwinkeln könne. Anatomisch gesehen, sei das fast unmöglich, „er ist hyperbeweglich im Fußgelenk“, so Rohwein.

Auffallend ist, wie akribisch die Konkurrenz Ahonens Überlegenheit auf den Grund kommen will. Als Hannawald 2002 zum Vierfachsieg schwebte, hatten hingegen alle nur atemlos gestaunt und „den Lauf“ des Hinterzarteners bewundert. Doch Ahonens Dominanz durchzieht die ganze Saison, von zwölf Weltcupkonkurrenzen hat er zehn gewonnen und zwei als Zweiter beendet – das ist einmalig in der Statistik des Skispringens –, und damit ängstigt er die Konkurrenz. „Ich habe heute gezeigt, dass er zu schlagen ist. Aber im Gesamtweltcup hat er ja jetzt schon so einen Vorsprung, dass da nichts anbrennen wird“, musste auch Martin Höllwarth anmerken.

Vielleicht wird Ahonen irgendwann Enttäuschung beschleichen, dass es doch nichts geworden ist mit dem Vierfachsieg und am Ende ein paar Meter gefehlt haben. Die ersten Fehleranalysen machte der Finne noch am Abend. Vielleicht, stellte er fest, habe er dann doch zu viel nachgedacht und sei deshalb zu spät abgesprungen. Martin Höllwarth hatte derweil nur ein „Sorry“ für den vermasselten Vierfachsieg parat – und eine tiefe Verbeugung in Richtung Janne Ahonen, des großen Siegers dieser Tournee.