Die Verräterin versöhnt ihre Fans

Kati Wilhelm führt die deutsche Biathlonstaffel zum Sieg bei ihrem Heimweltcup in Oberhof. Dafür verzeihender 28-Jährigen aus Zella-Mehlis die Thüringer sogar, dass sie neuerdings im bayerischen Ruhpolding trainiert

OBERHOF taz ■ Spätestens als Kati Wilhelm die letzte Scheibe getroffen und die drohende Strafrunde vermieden hatte, die vermutlich den Sieg in der Staffel gekostet hätte, war auch der letzte eingefleischte Thüringer unter den fast 20.000 in der Arena von Oberhof wieder mit ihr versöhnt. „Kati, Kati!“, schallte es von den Tribünen, als sie unangefochten dem Ziel zustrebte; die verlorene Tochter war in Gnaden wieder aufgenommen.

Schon zuvor hatten beide Seiten alles getan, um ihrem Auftritt die Brisanz zu nehmen. Die 28-jährige Biathletin hatte pausenlos betont, dass die Veranstaltung in Oberhof auf jeden Fall ihr Heimweltcup sei, der Stadionsprecher präsentierte sie dafür als Läuferin aus dem benachbarten Zella-Mehlis. Das war völlig korrekt, da sie dem dortigen Skiklub angehört, doch wohnt und trainiert sie seit geraumer Zeit im bayerischen Ruhpolding. Ein Ortswechsel, der im Fußball dem Transfer eines Schalkers zu Borussia Dortmund oder eines St.-Pauli-Spielers zum HSV gleichkommt. Thüringen und Bayern gehören schließlich zu den größten Wintersportnationen der Welt, die Rivalität der Nachbarländer ist gewaltig, ein Seitenwechsel kommt einem Landesverrat gleich.

Dennoch scheint es, als hätte Kati Wilhelm das Richtige getan, als sie den vertrauten Oberhofer Stützpunkt verließ, der zwar optimale Trainingsbedingungen bietet, aber auf Dauer offensichtlich etwas langweilig war für die lebenslustige Biathletin, die dafür gesorgt hat, dass leuchtend rote Haare in Deutschland seit einigen Jahren nicht mehr mit den Toten Hosen in Verbindung gebracht werden – sondern mit Biathlon. Ob nun in Ruhpolding der Bär Pogo tanzt, sei dahingestellt, auf jeden Fall scheint die Trainingspartnerschaft der beiden stärksten Läuferinnen dem Biathlonteam sehr gut zu tun im Hinblick auf die WM im März und auf Olympia nächstes Jahr in Turin. Die 34-jährige Uschi Disl freut sich über neue Motivation durch das tägliche gemeinsame Üben und ist drauf und dran, ihr dräuendes Karriereende auf jeden Fall bis nach Olympia hinauszuschieben, und auch Kati Wilhelm äußerst sich positiv über die Zusammenarbeit mit einer Biathletin, die extrem stark in der Loipe ist, beim Schießen aber ähnlichen Problemen ausgesetzt ist wie sie selbst.

Uschi Disl und Kati Wilhelm bilden in der Staffel gemeinhin die Klammer, die den Erfolg garantiert. So auch am Donnerstag in Oberhof. Disl startet – und rennt erst mal allen weg; Wilhelm auf der Position vier, die keiner mag, bekommt einen dicken Vorsprung mit auf den Weg und bringt diesen nervenstark ins Ziel. Dazwischen sorgen Katrin Apel und, in Oberhof, Andrea Henkel dafür, dass die Konkurrenz gar nicht erst auf die Idee kommt, sie habe eine Chance.

Die Staffel ist schließlich die Paradedisziplin der deutschen Biathletinnen. Keine andere Nation kann ein solch ausgeglichen laufstarkes Quartett aufbieten, allenfalls die Russinnen vermögen dank ihrer Schussfertigkeit mitzuhalten. Doch auch sie müssen passen, wenn Wilhelm und Co. einigermaßen solide auf die Scheiben disln. Nur sieben Fehlschüsse hatten die Russinnen am Donnerstag, 16 die Deutschen, darunter sogar eine Strafrunde von Henkel. Dennoch betrug Wilhelms Vorsprung am Ende über 45 Sekunden.

Aber die Staffel ist natürlich nicht das Wichtigste für ehrgeizige Biathletinnen. Was vor allem zählt, sind Weltcuppunkte und Titel in den Einzeldisziplinen, wo sich wackliges Ballern weniger gut wettmachen lässt, weil jeder Fehler Strafrunden kostet. Aber auch hier liegt die Ruhpoldinger Trainingsgruppe sehr ordentlich. Platz vier in der Weltcupwertung für die waschechte Bayerin Disl, Platz sechs für die zugereiste Wilhelm. Ärgste Rivalinnen sind bislang vor allem die Russinnen, doch von einem deutsch-russischen Zweikampf wollten nach der Staffel von Oberhof weder Kati Wilhelm noch die Weltcupführende Olga Pylewa etwas wissen. Die vor Weihnachten etwas formschwache Liv-Grete Poirée trug maßgeblich dazu bei, dass das norwegische Ensemble Rang vier hinter Slowenien erobern konnte, aber auch die Französin Sandrine Bailly, die Italienerin Michela Ponza und die Slowenin Tadeja Brankovic hat Kati Wilhelm auf der Rechnung. Einen Platz unter den ersten acht fände die Teilzeitthüringerin beim heutigen Sprint oder in der morgigen Verfolgung in Oberhof sehr schön, für Uschi Disl darf es schon etwas mehr sein – wenn denn Kimme und Korn mitspielen. Der nächste Weltcup findet danach übrigens in Ruhpolding statt. Man darf gespannt sein, wie Kati Wilhelm den Biathlonfans dort erklärt, dass dies nicht ihr Heimweltcup ist. MATTI LIESKE