Volle Sprengkraft gegen die Wahlen

Je näher der geplante Wahltermin im Irak rückt, desto mehr häufen sich die Anschläge vor allem im sunnitischen Kernland. Um die schiitische Mehrheit nicht zu verprellen, halten die USA am Wahltermin fest – und zementieren die Dreiteilung des Landes

VON INGA ROGG

Hoffnung, Aufbruch und Umbruch sollten die Wahlen im Irak signalisieren. Zum ersten Mal seit einem halben Jahrhundert sollten die Bürger des Landes in einer freien und fairen Abstimmung am 30. Januar ihre Volksvertretung wählen. So sah es der Plan vor, der vor gut einem halben Jahr gefasst und in der UNO-Resolution 1546 festgehalten wurde. Doch wie so viele schöne Ideen der letzten 20 Monate ist auch dieser an der Realität im Zweistromland zerschellt.

Pünktlich zum geplanten Wahlkampfauftakt im neuen Jahr haben drei radikale sunnitische Untergrundorganisationen die Iraker gewarnt, sich nicht an der „Demokratie- und Wahlfarce“ zu beteiligen. „Keiner, der sich an dieser schmutzigen Farce beteiligt, ist sicher“, drohten Dschaisch Ansar al-Sunna, die Islamische Armee im Irak und die Mudschaheddin-Armee den Irakern. Wahlen seien unislamisch und Wahllokale Zentren des Atheismus, höhnten die drei Gruppen, die zusammen mit der „Qaida in Mesopotamien“ von Abu Mussab Sarkawi für eine Reihe von ruchlosen Terrorakten verantwortlich sind. Am Montag erteilte schließlich auch noch der Oberhirte aller Dschihadkrieger der Welt, Ussama Bin Laden, den Wahlgegnern im Irak seinen Segen, indem er auf einem Tonband zum Wahlboykott aufrief. Zugleich ernannte er Sarkawi zu seinem Vertreter im Irak.

Seitdem ist kein Tag vergangen, an dem nicht irgendwo im Land Bomben in die Luft gingen und Sicherheitskräfte wie Politiker Mordanschlägen zum Opfer fielen. Etwa hundert Personen sind allein in dieser Woche Opfer der Gewalt geworden. Neben Wahlkandidaten wie dem Gouverneur von Bagdad, Ali al-Haidari, und Mitgliedern von Stadträten traf es einmal mehr die Polizei und die Nationalgarde. Genau diejenigen also, die am 30. Januar die Sicherheit der Bürger in und vor den Wahllokalen garantieren sollen. Darüber hinaus wurden in den vergangenen Tagen mindesten 14 US-Soldaten bei Anschlägen getötet.

Ramadi, Balad, Bakuba, Samarra, Tikrit, Mossul, Hilla und immer wieder Bagdad heißen die Stationen des Terrors. Mit Ausnahme von Hilla liegen sie alle im sunnitischen Kernland. In vier von Iraks 18 Provinzen sei die Sicherheitslage noch immer so schlecht, dass die Abhaltung von Wahlen kaum möglich sei, räumte am Donnerstag der US-Oberkommandierende im Irak, Generalleutnant Thomas Metz, ein. Neben den bisherigen Unruheherden, den Provinzen Anbar mit Ramadi und Falludscha, Salahaddin mit Tikrit und Ninive mit Mossul steht nun auch Bagdad auf der Liste der Regionen, die den US-Truppen zu entgleiten drohen.

Erneut hat der irakische Interimspräsident Ghadi Adschil al-Jawer auf eine Verschiebung der Wahlen gedrängt, um den Sunniten doch noch ins Boot zu holen. Nachdem aber die einflussreiche Islamische Partei ihre Kandidatenliste zurückgezogen hat, stehen indes kaum noch sunnitische Listen zur Wahl. In Washington hält man unterdessen unverdrossen am Wahltermin fest. Offenbar hat sich dort die Erkenntnis durchgesetzt, dass sich das Blatt im sunnitischen Kernland so bald nicht wenden lässt. Auf keinen Fall will man es sich vor diesem Hintergrund mit der schiitischen Mehrheit im Land verderben. Diese haben aus ihrer katastrophalen Fehlentscheidung in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts gelernt, als sie sich mit einem Aufstand gegen die britischen Besatzer um jeglichen Einfluss auf die künftigen Geschicke des Landes brachten. Stattdessen setzen sie heute auf die friedliche Übernahme der Macht. Deshalb hat Großajatollah Ali Sistani auch von Anfang auf die Abhaltung von Wahlen gedrängt. Nur mit dem Zugeständnis des jetzigen Wahltermins konnten die USA Sistani im vergangenen Jahr besänftigen, als hunderttausende für seine Forderung nach Wahlen auf die Straßen gingen. Bislang sind es auch vor allem schiitische Kandidaten, die in den Kampf um die 275 Parlamentssitze eingestiegen sind. Sollten die Wahlen verschoben werden, riskieren die USA, auch die Schiiten gegen sich aufzubringen. Damit wäre ein Bürgerkrieg, der das ganze Land erfasst, nicht mehr aufzuhalten.

Im Vorfeld der Wahlen zeichnet sich so eine Dreiteilung des Landes in einen von den Geistlichen dominierten schiitischen Süden, einen semiunabhängigen kurdischen Norden und einen von kriegerischen Auseinandersetzungen gezeichneten sunnitisch dominierten Zentralirak ab. Gescheitert sind die USA damit aber auch mit ihrer Exitstrategie, die auf den schnellen Aufbau von irakischen Sicherheitskräften setzte. Diese Erkenntnis hat sich wohl auch bei Verteidigungsminister Rumsfeld durchgesetzt. Dieser will mit Gary E. Luck einen der ranghöchsten Generäle in den Irak entsenden, um eine komplette Neubewertung der bisherigen Irakstrategie vorzunehmen.