Die guten Menschen aus London

Die britische Regierung macht sich zum Anwalt der armen Länder: Schuldenmoratorium anlässlich der Flutkatastrophe, Klimaschutz, globaler Marshallplan. Entwicklungspolitik und Wahlkampf fürs Parlament gehen eine Symbiose ein

AUS LONDON NIKOLAI FICHTNER

Die britische Regierung profiliert sich als Vorreiter der Entwicklungspolitik. Ein Anlass ist dabei die Flutkatastrophe in den Küstenstaaten des Indischen Ozeans. Gestern ließ Großbritanniens Finanzminister Gordon Brown verkünden, die betroffenen Länder bräuchten vorläufig keine Zinsen und Tilgung für Kredite der G-7-Gruppe zu leisten. London führt gegenwärtig den Vorsitz der Gruppe der reichsten Industrieländer, der auch Kanada, die USA, Frankreich, Deutschland, Italien und Japan angehören.

Nicht nur Finanzminister Gordon Brown, auch Premierminister Tony Blair (beide Labour Party) setzt anspruchsvolle Ziele für die Entwicklungszusammenarbeit. Während Brown von einem globalen „Marshall-Plan“ zugunsten der Armen spricht, will Blair besonders Afrika helfen und den Klimawandel bekämpfen. Ein Hintergrund für die Initiativen der Labour-Spitze: die kommenden Wahlen für das britische Unterhaus, die wahrscheinlich im Mai stattfinden.

Zum britischen Entwicklungspaket gehört auch die Forderung an die Adresse der Industrieländer, ihre offizielle Entwicklungshilfe zu erhöhen. Eigentlich hatten sich die reichen Staaten dazu verpflichtet, 0,7 Prozent ihres Sozialprodukts für die Dritte Welt aufzubringen. Doch nur die wenigsten Länder halten sich an diese Vorgabe. Großbritannien, das derzeit 0,34 Prozent gibt, hat sich inzwischen selbst einen Zeitplan gesetzt: Bis 2013 will man die Quote erreichen. Jetzt sollen auch andere Länder nachziehen, etwa Deutschland, das für 2006 zunächst nur 0,33 Prozent anpeilt. Dieses Jahr wollen die EU-Mitgliedsländer neue, ehrgeizigere Quoten festlegen. In der zweiten Jahreshälfte wird Großbritannien den Vorsitz der EU führen.

Die EU soll etwas vorweisen können, wenn die Vereinten Nationen beim großen Entwicklungsgipfel in New York um mehr Entwicklungsgelder bitten. Der UNO geht es um das Erreichen der Jahrtausendziele, zu denen die weltweite Halbierung extremer Armut, Grundschulbildung für alle und der Kampf gegen Aids gehören. Doch obwohl sich die Staatengemeinschaft diese Ziele erst für 2015 gesetzt hat, ist schon jetzt klar: Mit den bisherigen Methoden sind sie nicht zu erreichen. Bleibt alles so, wie es ist, dann wird die Grundschulbildung für alle Erdenbürger nicht im Jahr 2015 erreicht, sondern erst 2130, und die Anzahl der Armen wäre erst 2150 halbiert. Nötig wären nach UN-Schätzungen rund 50 Milliarden Dollar zusätzlich pro Jahr – also eine Verdopplung der gesamten weltweiten Entwicklungshilfe.

Gordon Brown will dieses Jahr darum verstärkt für seinen „Marshall-Plan“ für die Dritte Welt werben – einen Entwicklungsfonds, der die fehlende Summe durch Anleihen an den Kapitalmärkten aufbringen soll. Gedeckt werden müsste der Fonds von den Geberländern.

Auch beim zweiten großen Entwicklungsthema des Jahres, dem Schuldenerlass, gibt Großbritannien das Tempo vor. Bereits im Herbst letzten Jahres hat die britische Regierung angekündigt, 32 armen Ländern ihre Schulden bei der Weltbank und anderen Entwicklungsbanken zu erlassen. Die Briten wollen auf ihren Anteil an diesen Schulden verzichten und fordern die anderen Industrieländer auf, ihrem Beispiel zu folgen.

Jürgen Kaiser von der deutschen Organisation Erlassjahr.de ist freilich nicht sehr optimistisch. Er fordert, dass sich die deutsche Bundesregierung mit eigenen Konzepten profiliert. „Rot-Grün soll ein internationales Insolvenzrecht für Staaten vorschlagen.“ Nur so könnten die verschuldeten Länder nachhaltig entlastet werden.