Zerstört im Plattenbau

„Zielgerichtete Rückgewinnungsmaßnahmen“ – das klingt wie die Direktive für die Kundenabteilung eines großen Verlages, die abtrünnige Abonnenten erneut anwerben soll. Doch hinter der freundlichen Formulierung verbarg sich eine mit aller Brutalität vorangetriebene Aufgabe des Ministeriums für Staatssicherheit: die systematische moralische Demontage von „Republikflüchtigen“. Erst wurden diese auf der Westseite der Mauer mürbe gemacht, nach ihrer Rückkehr dann auf der Ostseite wie Verbrecher interniert.

Die Doku „Einmal Freiheit und zurück“ beleuchtet nun dieses kaum bekannte Kapitel des Strasitreibens – das immer auch Propagandaarbeit war. Schließlich wusste das Staatsorgan Neues Deutschland Mitte der Achtziger von „20.000 Rückkehrwilligen“ zu berichten. Doch freiwillig kamen die wenigsten zurück, fast immer wurden die Familien der Flüchtlinge als Druckmittel eingesetzt; fanden diese dann tatsächlich wieder in den Osten, wurden sie im Auffanglager Röntgental bei Berlin eingesperrt, einem eingezäunten Plattenbau samt Verhörbaracke. Der Film rekonstruiert das Leben in diesem Quasi-Knast, in dem die neuen alten DDR-Bürger auf unbestimmte Dauer gefangen gehalten wurden. Hoffnungen auf eine Rückkehr in den Ostalltag wurden zerstört, häufig kam es zu Suizidversuchen.

So präzise die Vorgänge in „Einmal Freiheit und zurück“ (Regie: Bettina Renner, Ulrich Stoll) erzählt und nachgespielt werden: Der Sinn dieses SED-Willkürakts bleibt einem auch heute verschlossen. Aber vielleicht gab es auch gar keinen. Wer in Röntgental saß, hatte schließlich gute Gründe (Familie, Verlobte, Freunde), sich dem autoritären Staat unterzuordnen. Was nützte es dem DDR-Regime, die Insassen systematisch zu brechen? Ideologisch macht das so wenig Sinn wie ökonomisch. Wären die Auswirkungen ihres Treibens nicht so vernichtend gewesen, könnte man sarkastisch über sie sagen: zu trottelig zur Tyrannei. CHRISTIAN BUSS

■ „Einmal Freiheit und zurück“, Mi., 21 Uhr, Arte