Anonyme Geburten in der Kritik

Damit verzweifelte Frauen ihre Kinder nicht aussetzen, besteht auch in NRW die Möglichkeit der anonymen Geburt. Jetzt prüfen Staatsanwälte diese rechtliche Grauzone: „Wahrscheinlich strafbar“

VON MIRIAM BUNJES

„Im Johanna-Etienne-Krankenhaus steht der Schutz des menschlichen Lebens im Vordergrund“, sagt Hospital-Sprecherin Vera Kemmerich. „Deshalb bieten wir auch anonyme Geburten an.“ Und genau deshalb nimmt jetzt die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft die Neusser Klinik unter die Lupe. Denn anonyme Geburten bewegen sich in einer rechtlichen Grauzone, an die sich bundesweit bislang noch kein Gericht gewagt hat.

Illegal in Deutschland lebende schwangere AusländerInnen, Minderjährige, Frauen unter weltanschaulichem Druck – diesen Frauen verspricht das Johanna-Etienne-Krankenhaus „eine Geburt ohne Angst“. Sie werden nicht nach persönlichen Daten gefragt, erhalten eine kostenlose medizinische Vor- und Nachsorge und können das Neugeborene auf Nimmerwiedersehen in der Klinik lassen. Die so geborenen Babies werden als Findelkinder an die Adoptionsstelle des Neusser Jugendamtes übergeben, das sich um eine Pflege- oder Adoptionsfamilie kümmert. Nach der Entbindung können die Frauen beim Notar – ebenfalls anonym – eine persönliche Nachricht für ihr Kind hinterlegen.

„Eine solche anonyme Geburt ist strafrechtlich zumindest fragwürdig, wahrscheinlich sogar strafbar“, sagt Johannes Mocken von der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft. „Personenstandsfälschung“ heißt das Delikt – es wird mit bis zu zwei Jahren Haft bestraft. „So soll verhindert werden, dass der Personenstand, in diesem Fall die Abstammung, falsch angegeben oder unterdrückt wird“, so der Staatsanwalt. „Möglicherweise handelt es sich auch um die Beihilfe zur Unterhaltspflichtsverletzung.“ Sicher ist Johannes Mocken sich aber nicht. „Es gibt dazu bislang keine Rechtssprechung.“

Auch die gesellschaftliche Debatte wird seit Jahren geführt. Durch anonyme Geburten würden keine Kinder gerettet, sondern lediglich Waisen geschaffen, finden sowohl der Deutsche ÄrtzInnen- als auch der Hebammenverband. Als Begründung dafür führen sie eine Studie der Universität Hannover, die nach einer umfangreichen anonymen Befragung zu dem Schluss kommt: „Frauen, die ihr Kind umbringen oder durch Aussetzen dem Tod preisgeben, nutzen das Angebot der anonymen Geburt nicht.“

Tatsächlich haben sich die Kriminalstatistiken seit der Einführung von Babyklappen und anonymen Geburten Ende der 90er Jahre nicht verändert: Etwa 40 Säuglinge werden jährlich ausgesetzt, davon 20 in NRW. Allerdings dürfte die Dunkelziffer deutlich höher liegen und erheblich schwanken. „Solange es keine gesicherten empirischen Erkenntnisse über den Erfolg von Babyklappen und anonymen Geburten gibt, sollte es diese nicht geben“, so die Position von terre des hommes. Denn diese Möglichkeiten hielten Eltern eventuell davon ab, sich für ihr Kind zu entscheiden.

Auch im Bundesrat wird das Thema seit Jahren diskutiert. Baden-Württemberg möchte die anonyme Geburt legalisieren, um den betroffenen Frauen eine medizinische Versorgung garantieren zu können. Bayern schlägt eine „geheime Geburt“ vor, bei der eine Beratungsstelle die Daten der Gebärenden aufnimmt und sie versiegelt dem Standesamt übermittelt. Das Kind soll dann mit 16 Jahren Einsichtsrecht erhalten. Das Land NRW stehe beiden Vorschlägen kritisch gegenüber, heißt es dazu aus dem Familienministerium.

Bislang werden sowohl die rund 20 Babyklappen in NRW, als auch die anonymen Geburten geduldet. Außer in Neuss bietet NRW-weit nur das Herner St. Anna Hospital anonyme Geburten an. 15 solcher Geburten gab es dort in den letzten drei Jahren. Von möglichen rechtlichen Folgen hat Chefarzt Joachim Neuerburg nie etwas gehört. „Wir arbeiten eng mit dem Jugendamt der Stadt zusammen“, sagt er.

Das macht die Neusser Klinik ebenfalls. „Wenn damit gegen das Strafrecht verstoßen wird, machen sich diese Stellen ebenfalls strafbar“, meint dagegen Staatsanwalt Mocken.