Paul Parin, Beobachter des Jahrhunderts

„Paul Parin ist eine Art Saurier. Hinter und neben ihm sind Reiche und Republiken zusammengebrochen. Politische Haltung und wissenschaftliche Arbeit entstanden in diesem Kontext, wurden durch ihn ebenso geprägt wie durch ein seltsames Aufwachsen nach zweijähriger Fixierung im Gipsbett.“

So porträtierte Gabriele Goettle 2001 in der taz Paul Parin, den Begründer der Ethnopsychoanalyse. Am Montag ist Parin in Zürich im Alter von 92 Jahren gestorben. Parin erzählte Goettle von seiner Kindheit als Großgrundbesitzersohn in einem Schloss in Slowenien, dem Studium der Medizin in den 30er-Jahren in Zagreb, seiner geliebten Frau Goldy, mit der er 45 Jahre lang lebte und arbeitete, und seinen Forschungsreisen nach Afrika, zusammen mit Goldy Matthèy und Fritz Morgenthaler.

„Das Dreigestirn hat Pionierarbeit geleistet“, schrieb Goettle. „Sie waren innerhalb des deutschsprachigen Raums die ersten Psychoanalytiker, die bei ihren Feldforschungen in den 50er- und 60er-Jahren die psychoanalytische Technik als Forschungsmethode erprobt, angewandt und ausgewertet haben. Mit ihren ethnopsychoanalytischen Studien haben sie nachgewiesen, dass die Psychoanalyse sich auch zum Verständnis fremder Kulturen eignet, und es hat sich der vergleichende Blick zwischen der eigenen und der fremden Kultur entscheidend verschärft, das Verständnis vertieft.“

Mit seinem Buch „Die Weißen denken zuviel“ über die Dogon in Mali wurde Parin von der 68er-Bewegung gefeiert, der er mit seinem Ansatz ein neues Instrument der Gesellschaftskritik zur Verfügung gestellt hatte. In seinen Feldforschungen legte er auf das persönliche Wort großen Wert, auf Gespräch und Erzählung, und bereicherte die Ethnologie um die subjektive Perspektive der beschriebenen Kulturen. Später verlegten er und seine Frau sich auf die Ethnopsychologie der eigenen Kultur. Parin schrieb auch für die Frankfurter Rundschau, etwa über die Jugoslawienkriege, bis sein schwindendes Sehvermögen ihm dies nicht mehr erlaubte.

KATRIN BETTINA MÜLLER