Auf Volkes Nerv gezielt

80 Neonazis veranstalten in Harburg einen skurrilen Aufmarsch gegen Ausländer. Aber Kritik an der Sozialpolitik trifft im Stadtteil auf Nährboden

Von Peter Müller
und Andreas Speit

„Mit neuen Ideen“ will der Hamburger Neonazi-Chefideologe Christian Worch alte Ziele erreichen, doch nun wird er nur noch platt: Der von ihm organisierte Aufzug am Samstag in Harburg wirkte zunächst nur skurril – und erwies sich doch als gefährlich. Parolen wie „Multikulti wird zum Multikrimi“ trafen durchaus auf Nährboden im Stadtteil.

80 Neonazis harrten zwei Stunden lang an der viel befahrenen Wilstorfer Straße auf einem Fußweg aus, aneinander gereiht zwischen Fahrbahn und Hecke, und beschallten ein gegenüberliegendes leeres Busdepot. Nahezu autistisch verrichtete ein Anwohnerpärchen seine Gartenarbeit, nur eine Handvoll Harburger schien die Rechten überhaupt zu beachten. Und auch 100 jugendlichen Hamburger Antifas gelang es wegen der Polizeipräsenz nicht, den Protest vor Ort zu tragen.

Grund des Aufmarsches war ein Vorfall über Weihnachten. Sechs betrunkene Skins hatten nachts im Tivoliweg eine Glastür eingetreten, weshalb zwei jugendliche Bewohner nach unten eilten. Es kam laut Polizeiermittlungen zunächst zu einer verbalen, dann körperlichen Auseinandersetzung. In deren Verlauf stach ein 17-jähriger Deutsch-Türke auf einen 24-jährigen angreifenden Skin ein und verletzte ihn leicht.

Den Vorfall will Worch nun nutzen: Eine Mischung von Einfachparolen aus Ausländerhatz und Kritik an der Sozialpolitik. Wer mit „fremdländischen Menschen zusammenwohnt“, wisse, dass der Integrationsprozess mit diesen Menschen gescheitert sei, verkündete er in Harburg. Die meisten seien zur Integration „nicht geeignet, von der Qualität und Kultur her, von der Religion ganz zu schweigen.“ Viele deutsche Frauen würden inzwischen große Umwege in Kauf nehmen, weil das „subjektive Sicherheitsgefühl“ im Bus größer sei – wo es einen Fahrer gebe – als in U- und S-Bahnen.

Dabei ernennt der gelernte Anwaltsgehilfe Worch öffentlich seinen Ausbilder, Ex-Bürgermeister und Notar Henning Voscherau (SPD), zu seinem Kronzeugen. Dieser habe noch zu seiner Amtszeit vor zehn Jahren in der Bild gewarnt, wenn ein Stadtteil wie Wilhelmsburg einen Ausländeranteil von 50 Prozent erreiche, „dass das Maß voll sei“. Süffisant erwähnt Worch, dass Voscherau sich zwar nachträglich für diese Äußerung „entschuldigt“ habe, angeblich aber nicht, so Worch, weil er sie für „falsch“ halte.

Offenbar versucht der Hamburger Neonazi-Chef nach dem Vorbild der Rechtsparteien im Osten, den Nerv der Bevölkerung treffen. Die Verteilungskämpfe um die wenigen Arbeitsplätze – in Harburg steht die Phoenix vor dem Aus – würden sich noch verstärken. Vor allem seit In-Kraft-Treten von Hartz IV sei es nicht verkraftbar, dass Ausländer Arbeit und Sozialleistungen in Anspruch nähmen, „auf die wir Deutsche dringend angewiesen sind“.

Solche Parolen treffen im Süden Hamburgs durchaus auf Resonanz bei PassantInnen. Eine allein erziehende Mutter mit zwei Kindern, die jetzt Arbeitslosengeld II bezieht, ist verbittert: „Die wollen doch nur mal ihre Meinung sagen,“ verteidigt sie die Attacken Worchs gegen Hartz IV. Und eine Anwohnerin will wissen, dass „der Türke vorbestrafter Drogendealer“ sei: „Das Opfer kenne ich schon als kleinen Jungen. Damals war er ganz lieb.“