Tödliches Gewahrsam

Als dem Afrikaner der Magen durchgespült wurde, war nur zufällig ein Notarzt dabei. Der ist entsetzt

AUS BREMEN KLAUS WOLSCHNER

Am Freitagabend meldete das kleine katholische St.-Joseph-Krankenhaus der Bremer Staatsanwaltschaft den Tod eines 35-jährigen Mannes aus Sierra Leone. Laya-Alama Conde hatte zwölf Tage im Koma gelegen, nachdem er in der Nacht zum 27. Dezember eingeliefert worden war. Im Einsatzprotokoll des Notarztes dieser Nacht steht der Einsatzort „Polizeigewahrsam“ und als Erstbefund: „Bei Magenspülung ertrunkener Patient“.

Der junge Notarzt Jörn Günther war dabei, als Conde ertränkt wurde, und ist auch zwei Wochen nach dem Fall noch fassungslos. Conde war als mutmaßlicher Drogenhändler festgenommen worden und hatte gegen seinen Widerstand ein Brechmittel verabreicht bekommen. Weil die Werte für Blutdruck und Sauerstoffsättigung abgefallen waren, wurde gegen 2 Uhr in der Nacht der Notarzt gerufen. Es stellte sich heraus, dass das Gerät des Polizeiarztes falsch angezeigt hatte.

Während sich der Gerufene an einen Schreibtisch setzte, um das Protokoll eines Fehlalarms zu schreiben, erklärte der Gerichtsmediziner, er werde nun eine Magenspülung vornehmen, um die Wirkung des Brechmittels zu verstärken. „Der Kollege legte dem Mann eine Magensonde und befüllte diese mittels einer sehr großen (100–200 ml) Spritze mit Leitungswasser. Er füllte drei oder vier Spritzen hinein, und ich erkundigte mich, ob er das Wasser auch wieder ablassen wolle. Er antwortete, er werde den Magen so weit mit Wasser befüllen, bis der Patient erbricht“, notierte Günther in seinem Gedächtnisprotokoll am Tag danach: „Sowohl der Kollege als auch die beiden Polizeibeamten vermittelten den Eindruck, als sei dies ein absolut übliches Standardvorgehen.“

Die Prozedur wurde mehrfach wiederholt, bis einer der beiden anwesenden Polizeibeamten bemerkte, dass der Atem des Afrikaners flach geworden war. Da schritt der Notarzt ein – zu spät. Conde zeigte Anzeichen starker Hirnschädigungen durch Sauerstoffmangel, offenbar war das Wasser beim Erbrechen in die Lunge eingedrungen.

Noch zehn Tage danach ist der Notarzt entsetzt. „Eindeutig unprofessionell“ habe der Gerichtsmediziner gehandelt, dessen Namen er am Einsatzort nicht erfahren habe. „So etwas darf man eigentlich nicht tun“, sagte Günther der taz. „Höchstens in der Intensivstation. Das Risiko ist einfach zu groß.“ Der Gerichtsmediziner hatte offenbar nicht mal die Geräte im Auge gehabt: „Der hat nicht erkannt, dass es dem Mann nicht gut ging, der hat überhaupt nichts erkannt.“

Die Diskussion in Bremen dreht sich nun auch um das Verhalten des Innensenators Thomas Röwekamp (CDU). Der war am 4. Januar im Fernsehstudio der Radio-Bremen-Sendung „buten & binnen“ befragt worden: „In Bremen liegt ein Mensch in einem Krankenhaus. Er stirbt vermutlich. Er liegt in Koma, weil die Polizei ihn als Drogendealer überführen wollte. Was empfinden Sie dabei?“ Der Senator: „Also, die Frage ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. (…) Ich würde in der Abwägung sagen, ich halte das für eine gerechtfertigte Maßnahme. Der Umstand, dass er jetzt gesundheitliche Folgen davon trägt, ist im Wesentlichen nach den ersten Berichten wohl darauf zurückzuführen, dass er eine dieser Kapseln entsprechend offensichtlich zerbissen hat und sich dadurch eine Vergiftung zugeführt hat. Nach meinen Informationen befindet er sich nicht mehr in Lebensgefahr. Er hat eine schwere Vergiftung getragen … Ich halte den Eingriff nach wie vor für verhältnismäßig und gerechtfertigt.“

Weder von „Vergiftung“ noch von „außer Lebensgefahr“ hat einer der Ärzte jemals etwas gesagt. Am Mittwoch soll der Innenausschuss klären, ob die Polizei oder der Senator die Öffentlichkeit falsch informiert hat. Nur das Gedächtnisprotokoll des Notarztes hat die Sache öffentlich gemacht. Nun ermittelt der Staatsanwalt. Zunächst wird der Tote von einem auswärtigen Rechtsmediziner untersucht.