Anerkannter Visionär

Ein Herner Asylbewerber will ein ruhrweit einzigartiges Migrantennetzwerk einrichten, um Zuwanderern im Alltag mehr Respekt zu verschaffen. Netzwerk sollen Politik über Lage informieren

„Die richtig großen Probleme lassen sich nur gemeinsam lösen“

AUS HERNEMIRIAM BUNJES

„Dolmetscherdienst“ steht auf dem obersten Computerausdruck. Jean-Marc Behalal legt die Zettel mit seiner noch jungen Idee fast ehrfürchtig auf die Tischplatte vor ihm. „Das hier ist der Plan für ein Netzwerk, das alle Herner Migrantenorganisationen an einen Tisch bringt“, sagt der Kameruner. „Und außerdem Arbeitsplätze schafft.“

Keine leichte Aufgabe, die der Internationale Bund und die Herner Agentur für Arbeit dem Juristen da gestellt haben: In Herne gibt es fast 40 Migranten-Selbstorganisationen – die meisten haben noch nie etwas voneinander gehört, geschweige denn miteinander gearbeitet. „Die Interessen scheinen auf den ersten Blick zu unterschiedlich“, sagt Behalal. „Die richtig großen Probleme lassen sich gemeinsam viel besser lösen.“

Und richtig große Probleme gibt es in Herne mehr als genug, findet Behalal. „Viele Ausländer finden sich bei den Herner Behörden und Krankenhäusern überhaupt nicht zurecht. Um Amtsdeutsch zu verstehen, braucht man wirklich viel Erfahrung mit der deutschen Sprache.“ Die Herner Migranten sollen deshalb auf einen selbst organisierten Dolmetscherdienst zurückgreifen können. „Es gibt genug Migranten, die beide Sprachen so gut beherrschen“,sagt Behalal. „Diese Potenziale sollten alle Herner Ausländer für sich nutzen können.“

Sowieso würden die zugewanderten Herner viele Schwierigkeiten leichter lösen, wenn sie mit einer Stimme sprächen. Behalal will deshalb einmal im Monat einen „Rendezvous-Tag“ in den Räumen der Herner Arbeiterwohlfahrt organisieren. „Ein Netzwerk entsteht nicht von einem Tag zum anderen“, sagt Behalal. „Wir müssen uns erstmal bei Essen und Musik gegenseitig kennenlernen und uns zwanglos miteinander austauschen.“ So soll ein interkulturelles Restaurant entstehen, das dann irgendwann zur finanziellen Basis wird.

Behalal möchte vor allem auch die Interessen der mehr als 300 Herner Asylbewerber stärker einbinden. Denn die würden wegen ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bislang in keinem Integrationsmodell berücksichtigt.

Er selbst hat erst seit zwei Monaten den kleinen entscheidenden Stempel in seinem Pass: er ist anerkannter Asylbewerber. Deshalb ist die auf sechs Monate befristete ABM-Maßnahme seine erste richtige Arbeitsstelle, obwohl er schon seit fünf Jahren in Deutschland lebt.

„Asylbewerber stehen in der gesellschaftlichen Hierarchie soweit unten, dass sie in der Regel vergessen werden“, sagt Behalal. „Wenn ein Migrantennetzwerk sich geschlossen hinter deren Bedürfnisse stellt, haben auch sie eine Chance, gehört zu werden.“ Behalal hat deshalb auch schon Kontakt zum Integrationsrat und den Herner Parteien aufgenommen. „Wir können der Stadtpolitik nur Vorschläge machen“, sagt er. „Oder sie über Zustände und Probleme informieren. Aber das ist besser als nichts.“

In seinem Heimatland wurde er verhaftet und verfolgt, als er öffentlich Missstände anprangerte. „Ich sehe das auch hier in Deutschland als meine Aufgabe“, sagt der 43-Jährige. „Ich möchte, dass die Stadt Herne bessere Deutschkurse für Ausländer anbietet, damit sie auf dem Arbeitsmarkt die gleichen Chancen haben.“ Auf einem seiner Zettel steht deshalb auch die Überschrift „Arbeitsplätze“. Wenn das Projekt auf eigenen Beinen steht, könnten sogar Jobs für MigrantInnen entstehen.