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: HELMUT HÖGE über den Rosa-Luxemburg-Kongress

„Der Sinn der Organisation ist ihr Scheitern!“ (Situationistische Internationale)

Meine tschechische Begleiterin war kaum dorthin zu kriegen: „Früher habe ich mich kategorisch geweigert, auf eine kommunistische Veranstaltung zu gehen“, meinte sie, hinterher gab sie jedoch zu: „Es ist doch was anderes, wenn die, wie im Westen, in der Opposition sind oder ob sie an der Macht sind.“

Aus dieser Sphäre war nur ein Vertreter auf dem Rosa-Luxemburg-Kongress erschienen – und der war wie immer der schwächste Redner: ein Mitglied des ZK der KP Kubas. Aber weil Kuba global gesehen so machtlos ist, hörten wir ihm dennoch gelassen zu. Als eine Stimme von ganz unten drang demgegenüber die „Grußbotschaft“ des Junge-Welt-Kolumnisten Mumia Abu-Jamal zu uns: allerdings nur als Stimme, weil er in einer US-Todeszelle sitzt – seinen Redebeitrag schickte er in diesem Jahr erstmalig als CD.

Der Star dieses Kongresses war Angela Y. Davis, von der meine tschechische Begleiterin meinte: „In der Schule haben sie uns immer gedrängt, für ihre Freilassung aus dem US-Gefängnis zu demonstrieren. Wir haben aber nie erfahren, warum ihr die Todesstrafe drohte.“ Auf dem Kongress wurde erst einmal ein Film über ihr Leben, ihren im US-Gefängnis ermordeten Freund George Jackson und ihren von weltweiten Protesten begleiteten Gerichtsprozess gezeigt. Dass sie, die aus dem intellektuellen schwarzen Mittelschichtsmilieu in Birmingham, Alabama, kam, sich der KP der USA näher fühlte als der Black Panther Party, war mir neu. In ihrer Rede, die an das Kongressmotto „Krieg global – Widerstand lokal“ anknüpfte, ging sie von ihrem derzeitigen Kampf gegen „die Gefängnisindustrie“ aus, um auf das Rosa-Luxemburg-Leitproblem zu sprechen zu kommen: soziale Bewegung versus politische Organisation.

Dazu hatte zuvor bereits der westdeutsche Schriftsteller Christian Geissler erklärt: „Widerstand beginnt nach meiner Erfahrung mit ‚Konspiration‘, das heißt: zusammen atmen.“ Als „alter Mann“ habe er zwar allen Grund, dem Wort „Organisation“ gegenüber misstrauisch zu sein. Und als „alter Kommunist erst recht“, dennoch könne er sich keine andere Bewegung gegen das globalisierte Kapital vorstellen als eine „streng und international organisierte“.

Ähnlich vorsichtig umschiffte dann auch Angela Davis das Parteien-Dilemma, das sich ihr als permanente Notwendigkeit aufdrängte, spontanen Mobilisierungen dauerhaftes „Leben“ zu verleihen. Für die „Bewegung gegen die Gefängnisindustrie“, bei der sie – nicht zuletzt auch als Soziologin – engagiert ist, bedeute dies, da man nicht erwarten könne, morgen schon das „System“ zu verändern, dass man die Ungeduld der Aktivisten in ein langfristiges Engagement transformieren müsse.

Die vom Moderator Arnold Schölzel als „streitbarer Geist des LabourNet Germany“ vorgestellte Mag Wompel gab zu bedenken: „Wir haben zu viele schlechte Erfahrungen gemacht mit starken Organisationen.“ Ihr schien deswegen das eigene Internet-Medium als geeignetes Mittel, um die Kontinuität der Kämpfe zu erhalten. Ihre Organisation neuen Typs nannte sie „lose verkoppelte Netzwerke“, in dessen Fokus sich „selbstbewusste und solidarische Individuen“ bewegen.

Im Gegensatz dazu warb der kubanische Funktionär Frometa de la Rosa um Unterstützung bei der Verteidigung der Errungenschaften ihrer Revolution, zu der unter anderem. die Entsendung von mittlerweile mehr als 23.000 kubanischen Ärzten in Armenregionen Afrikas, Mittelamerikas und Venezuelas gehöre.

Ähnlich argumentierte auch Ivan Morales von der sozialistischen Bewegung Boliviens. Diese bemüht sich um eine Organisation der Koka-Bauern, deren Kämpfe sie „zur Vorhut der nationalen Bauernbewegung“ machten. Nun brauche ihr Widerstand jedoch „internationale Solidarität“, denn auch ihre Gegner, allen voran die USA, seien sehr aktiv.

Abschließend sei noch bemerkt, dass das andauernde Rosa-Luxemburg-Problem jedes Jahr mehr Leute anzieht. Den geselligen Teil des Kongresses moderierte Dr. Seltsam – getreu dem Angela-Davis-Vorschlag: „Ein Gefühl von Gemeinschaft entwickeln“.