Brechzwang unter Folterverdacht

Forum Menschenrechte: Zwangsbehandlung mit Brechmitteln ist Folter. Amnesty international: Auf jeden Fall verstößt diese Methode, mutmaßliche Dealer zu überführen, gegen internationales Recht. Deutsche Rechtsprechung bislang unklar

von CHRISTIAN RATH
UND COSIMA SCHMITT

Ist das Einflößen von Brechmitteln legitime Polizeiarbeit – oder wird in Deutschland ganz offiziell gefoltert? Nach dem Tod eines mutmaßlichen Dealers in Bremen haben Menschenrechtler eine Debatte angestoßen: Dass die Polizei den Afrikaner zum Erbrechen zwang und damit sein Leben gefährdete – das ist unzulässig, meint Ingeborg Rürup vom Forum Menschenrechte. „Staatsvertreter wenden Gewalt an, um Beweismittel zu sichern. Ich nenne das Folter.“

Dawid Bartelt von amnesty international ist da skeptischer. „Folter im klassischen Sinn ist das nicht“, sagt er. Denn die sei laut Antifolterkonvention auch durch ihren Zweck definiert: Staatsvertreter foltern, wenn sie mit Gewalt eine Aussage erzwingen oder einen Verdächtigen diskriminieren, einschüchtern oder bestrafen wollen. „Hier aber wollten die Polizisten lediglich Drogen zutage fördern.“

Doch selbst wenn eine Brechmittelgabe nicht als Folter gilt – gegen Völkerrecht verstößt sie in jedem Fall, so Bartelt. Schließlich verbiete der „Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte“ von 1966 jede „grausame, unmenschliche und erniedrigende Behandlung“ – und die sei hier auf jeden Fall gegeben.

Laut Fredrik Roggan, Polizeiexperte bei der Humanistischen Union, braucht man nicht erst das Völkerrecht zu bemühen, um Brechmittel aus dem Polizeialltag zu verbannen. „Im deutschen Strafrecht steht eindeutig: Die Polizei darf nur Beweise erlangen, wenn davon kein Nachteil für die Gesundheit des Täters zu befürchten ist.“

Bedenklich findet ai-Mitarbeiter Bartelt auch die Selbstverständlichkeit, mit der einem Drogendealer Schmerzen zugemutet werden: „Wir bemerken das seit dem Daschner-Prozess. Viele Menschen meinen: Schwerverbrecher haben ihre Menschenrechte verwirkt.“ Er ist überzeugt: „Wir gefährden hier die Fundamente unseres Rechtsstaats.“ Der Frankfurter Polizeipräsident Wolfgang Daschner hatte dem Kindesentführer Magnus Gäfgen Schmerzen angedroht.

Deutsche Gerichte hingegen haben bislang noch nicht entschieden, ob Brechmitteleinsätze gegen das Folterverbot verstoßen. Die deutsche Juristenkontroverse macht sich eher an der Frage fest, ob die zwangsweise Gabe von Brechmitteln die Menschenwürde verletzt und daher von vornherein unzulässig ist. Letzteres entschied 1996 das Oberlandesgericht Frankfurt am Main. Wer einen Menschen zum Erbrechen zwinge, erkenne ihn nicht als selbst verantwortliche Person an. Der Mensch werde funktionalisiert und nur noch „dem Zweck des Hervorwürgens unterworfen“.

Andere Gerichte wie das Oberlandesgericht Bremen halten den Brechmitteleinsatz für das mildere Mittel – im Vergleich zu einer mehrtägigen Untersuchungshaft bis zum Ausscheiden der Drogenpäckchen über den Stuhlgang. Die Bremer Richter sehen außerdem die Gefahr, dass die Verpackung der Drogen „bei längerem Verweilen im Körper“ beschädigt werden könnte.