Schrammeln für den Pop: jugendlich unbekümmert mit Lily Electric und abgeklärt nach Lehrbuch bei Officer I’m High

Ja, gut, natürlich machte die Kategorie Indie-Pop schon bei ihrer Erfindung keinen großen Sinn. Als könne man Kunst allein über ihre kommerziellen Entstehungsbedingungen definieren. Und heutzutage, inmitten eines fröhlich schrumpfenden und immer näher zusammenrückenden Marktes, ist die Kategorie endgültig wertlos geworden. Natürlich gibt es trotzdem eine vage musikalische Idee, was Indie-Pop sein könnte. Und diese Idee bringen Lily Electric gerade in ihrer Verschwommenheit recht exakt auf den Punkt.

Der letzte Satz übrigens birgt nur vermeintlich einen Widerspruch. Nein, das soll Dialektik sein. Auch weil Pop, der den alten Hegel in Stellung bringt, immer noch recht spannend sein kann: Und Lily Electric tun auf ihrem Debütalbum „You’re In The Painting You Saw“ genau das, wenn sie sich auf die Suche nach unverschämt eingängigen Melodien begeben, die aber dann mit seltsam unfertigen Schrammelgitarren unterlegen. Wenn sie ruppig daherrüpeln, diese punkige Grundeinstellung aber mit geradezu süßlicher Freundlichkeit kontrastieren und mit fast schon krautrockenden Exkursionen endgültig konterkarieren.

Wie das gelingen kann? Wohl allein durch jugendlich indizierte Naivität. Aus ziemlich genau demselben Impuls also, der vier junge Dänen dazu verleitet, aus Kopenhagen nach Berlin zu ziehen, um hier Karriere zu machen. Prima Idee, möchte man ihnen zurufen: Man sollte sich zwar nicht darauf verlassen, dass man es von hier aus zum Weltstar schafft (wenn man nicht gerade Rammstein heißt, das R rollt und deutsche Klischees ausbeutet), aber so haben wir wenigstens eine gute Indie-Popband mehr, von denen man ja gar nicht genug haben kann.

Dass ein durchaus vergleichbarer Ansatz gänzlich anders klingen kann, beweisen Officer I’m High. Das Quintett verschraubt gekonnt Versatzstücke aus dem Mainstream-Rock mit avancierteren Ideen. Das selbstbetitelte Debütalbum allerdings wirkt seltsam blutleer. Es fehlen die Brüche, vielleicht auch die Widersprüche. Alle mögliche Zerrissenheit ist wie wegpoliert von allzu solidem Handwerk.

Das allerdings erklärt sich wiederum aus der Geschichte von Officer I’m High, die zwar erst seit ungefähr zwei Jahren existieren, aber sich zusammensetzen aus allerhand erfahrenen Musikanten. Sänger und Gitarrist Nader Rahy und Keyboarder Arne Augustin beispielsweise spielen seit Jahren in der Band von Nena, Schlagzeuger Philipp Palm betreibt in Hamburg ein Studio. Für solche altgedienten Profis wird es natürlich schwieriger, eine jugendliche Unbekümmertheit zu reproduzieren.

Das muss ja auch nicht sein, aber der abgeklärte Umgang mit den eigenen Klischees, die geradezu abgezirkelte Tonsetzung von Officer I’m High birgt so gar keine Überraschungsmomente. Gitarren aus dem Lehrbuch, Melodien aus dem Mainstream-Fundus und jederzeit wohl temperiert groovende Rhythmen bestimmen den Sound. Selbst die immer mal eingesetzten elektronischen Beats fügen sich brav in den biederen Gesamteindruck. Da fehlt’s doch an der Dialektik, Mann. THOMAS WINKLER

■ Lily Electric: „You’re In The Painting You Saw“ (PonyRec/Indigo), live Sa. im Bang Bang Club

■ Officer I’m High (MK Zwo/Rough Trade)