Schwarz-Weiß ist out

Mit der Wahl von Abu Masen zum Palästinenser-Präsidenten haben die alten Fronten von Gut und Böse keine Zukunft

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Mit der Wahl des moderaten Fatah-Politikers Mahmud Abbas, der mit einer überragenden Mehrheit von 62,3 Prozent der Stimmen neuer Palästinenserpräsident wird, verschieben sich die seit Jahren im Nahen Osten geltenden Vorzeichen. Bislang galten die Palästinenser unter der Führung des jüngst verstorbenen Jassir Arafat als die Hauptschuldigen für das Stocken des Friedensprozesses und der andauernden Gewalt, während die Israelis im Alleingang versuchten, die Misere per angekündigtem Abzug aus dem Gaza-Streifen zu beenden. Musste Arafat, zuletzt international geächtet und hinter die Mauern der Mukataa, seines Amtssitzes, verbannt, machtlos zusehen, wie sein Kontrahent, Israels Premier Ariel Scharon, in den USA und Europa Punkte sammelte, so wird fortan mit mehr Druck auf die israelische Regierung zu rechnen sein, wenn israelische Bulldozer ganze Häuserreihen plattwalzen oder zig unbeteiligte Palästinenser zu Opfern einer Militäroperation gegen die Kassam-Raketen werden.

Die Fronten von Gut und Böse bestehen nicht länger. Unter den wachsamen Augen internationaler Beobachter gelang es den Palästinensern innerhalb weniger Wochen, demokratische Wahlen abzuhalten und einen Mann ins höchste Staatsamt zu befördern, der die gewaltsame Intifada einen „großen Fehler“ genannt und auf dessen politischer Agenda das „Gesetz der Ordnung“ höchste Priorität hat. Schon jetzt lassen die islamischen Extremisten weitgehend ihre Waffen ruhen.

Der militante Arm der Fatah, die Al-Aksa-Brigaden, hat angekündigt, alle Entscheidungen der neuen Führung zu respektieren. Berichten zufolge wollen sich die Kämpfer gar zu den Sicherheitskräften melden. Abu Masen beendete die antiisraelische Hetze in den öffentlichen Medien und erfüllte damit eine zentrale Forderung der Regierung in Jerusalem.

Die Erwartungen Israels und der USA an den neuen Präsidenten in Ramallah unterscheiden sich aber von den Ansprüchen des eigenen Volks. Das Ende der gewalttätigen Übergriffe erfüllt für die meisten Palästinenser nur einen einfachen Zweck, sie wünschen sich Erleichterung ihrer Lebensumstände in den besetzten Gebieten – wie von Israel in Aussicht gestellt. Das zentrale Motiv für viele Wähler Abu Masens, ihm die Stimme zu geben, war ihre Hoffnung auf wirtschaftlichen Aufschwung.

Auf der israelischen Agenda steht nun neben Reiseerleichterungen und mehr Einreisegenehmigungen für palästinensische Arbeiter auch die Entlassung der politischen Häftlinge. Ein erster politischer Handel wäre schon bald denkbar. So wurde aus dem Büro Scharons bereits das Angebot einer Amnestie für palästinensische Flüchtlinge laut, im Gegenzug für die Einstellung des Beschusses durch Kassam-Raketen aus Gaza. Ruhe an der Front zum Gaza-Streifen – das würde sich Scharon vermutlich einiges kosten lassen. Jeder Zwischenfall erschwert es ihm, seinen für dieses Jahr geplanten Abzug aus dem Gaza-Streifen auf innenpolitischer Ebene durchzusetzen.

Scharon ohne echte Mehrheit

Von klaren Machtverhältnissen, wie sie derzeit in Ramallah herrschen, kann der israelische Premierminister dagegen nur träumen. Schon die Bestätigung seines neuen Kabinetts durch das Parlament gestaltet sich nach dem angekündigten Widerstand von Parteigenossen aus dem Likud, die das Zusammengehen mit der Arbeitspartei ablehnen, als Balanceakt. Auch die „große Koalition“ bedeutet für Scharon also noch keine belastbare Mehrheit.

Immerhin aber ziehen mit der Arbeitspartei auch einige in Sachen Friedensverhandlungen erfahrene Politiker ins Regierungshaus. So kommentierte Parteichef Schimon Peres den Wahlsieg Abu Masens als „neue Chance“, wohingegen Finanzminister Benjamin Netanjahu in Richtung USA appellierte, nicht aufzuhören, Druck auf die palästinensische Führung auszuüben, damit die „Terrororganisationen aufgelöst“ werden.

Ein Gelingen der Mission Abu Masens ist nur durch ein behutsames Wechselspiel von Zugeständnissen machbar, wobei die Vorzeichen günstig sind, nicht nur aufgrund seines so klaren Vorsprungs, sondern gerade auch mit Blick auf den beachtlichen Erfolg seines Mitbewerbers von der Palästinensischen Nationalinitiative, Mustafa Barghuti, der immerhin fast 20 Prozent der Stimmen erreichte. „Wir sind die zweitgrößte palästinensische Fraktion, noch vor der Hamas“, kommentierte er zuversichtlich. Ob er damit Recht hat, werden die für Mai geplanten Parlamentswahlen zeigen.

Deren Ausgang wird vermutlich noch folgenreicher sein als die Präsidentschaftswahlen. Denn wenn Abu Masen seine eigenen, vor gut eineinhalb Jahren gestellten Forderungen nun ernst nimmt, dann wird er als Präsident deutlich klarer eher repräsentative Aufgaben übernehmen als es Arafat stets tat. Die Hauptarbeit fällt hingegen dem Premierminister zu, Achmed Kurei, dem Abu Masen bereits die Kontrolle über die beiden zentralen Bereiche Sicherheit und Finanzen zugesprochen hat.