Ungewohnte Rolle für Sarrazin

Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) kann bessere Nachrichten überbringen: Berlin musste 2004 etwas weniger Schulden aufnehmen als geplant. Zur Entwarnung besteht aber kein Anlass

VON RICHARD ROTHER

Ein wenig unwohl fühle er sich schon, eröffnete Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) die Pressekonferenz nach der gestrigen Senatssitzung. Denn eigentlich sei er nicht dazu da, gute Nachrichten zu verkünden. Er tat es dennoch: Im vergangenen Jahr sei das so genannte Primärdefizit auf den niedrigsten Wert seit 1992 gesenkt worden, und die Neuverschuldung habe deutlich unter der geplanten Größenordnung gehalten werden können. Dennoch bleibt Berlin durch die weiter steigenden Schulden und Zinslasten in der Haushaltsnotlage – und schielt zum Bundesverfassungsgericht nach Karlsruhe, wo über die geforderten Sonderhilfen verhandelt wird.

Das Primärdefizit ist eine haushalterische Größe, mit der die Entwicklung der Landesfinanzen anschaulich beschrieben werden kann. Hierbei werden die Ausgaben für den Schuldendienst (die beim hochverschuldeten Land Berlin besonders hoch sind) nicht berücksichtigt, und auch die Einnahmen vom einmaligen Verkauf von Landesvermögen werden herausgerechnet. Übrig bleiben die laufenden Einahmen und Ausgaben – hier schnitt Berlin im vergangenen Jahr besser ab, als ursprünglich prognostiziert. So gab das Land 475 Millionen Euro weniger aus als veranschlagt, gleichzeitig nahm es 482 Millionen mehr ein. In der Folge mussten weniger neue Schulden aufgenommen werden.

Das Primärdefizit, das bis zum Jahr 2007 auf null gedrückt werden soll, sank im vergangenen Jahr auf rund 1,23 Milliarden Euro. Das geht aus dem vorläufigen Jahresabschluss vor, den Sarrazin gestern vorlegte. Im Jahr 2003 hatte dieses Defizit noch bei 2,4 Milliarden Euro gelegen.

Die Gründe dafür sind vielfältig, zum Teil aber stehen hinter den besseren Zahlen reine Luftbuchungen. So wurden die 300 Millionen Euro, die das Land 2004 zur Begleichung der Immobilienfondsrisiken der Bankgesellschaft eingeplant hat, aus formalen Gründen noch nicht ausgegeben. Aufgeschoben ist aber noch nicht aufgehoben: Die entsprechenden Zahlungen könnten in diesem Jahr anstehen.

Die Einahmen aus Steuern und dem Länderfinanzausgleich entwickelten sich etwas besser als veranschlagt: Ursache ist eine etwas bessere konjunkturelle Entwicklung und veränderte Regelungen für die Gemeindefinanzen. Zum Ende des vergangenen Jahres stiegen in Berlin auch die Einnahmen aus der Gewerbesteuer und der Umsatzsteuer spürbar an. Demgegenüber sanken die Personalausgaben weiter: Ursache sind die geringeren Einkommen im öffentlichen Dienst und der Verzicht auf Neueinstellungen. Die Ausgaben für Sozialleistungen stiegen weiter.

Finanzsenator Sarrazin sprach von einem „Riesenschritt beim Abbau des Defizits“. Eine Entwarnung wollte er aber nicht geben: „Wir befinden uns nach wie vor in einer extremen Haushaltsnotlage.“ Die Schulden und die Zinslasten stiegen weiterhin so schnell, dass das Land die Entwicklung nicht aus eigener Kraft stoppen könne. Zurzeit hat Berlin rund 56 Milliarden Euro Schulden – fast das Dreifache eines Jahreshaushaltes.

Während PDS-Fraktionschef Stefan Liebich den Jahresabschluss 2004 als Beleg für die solide Haushaltskonsolidierung von Rot-Rot bezeichnete, kritisierte die Opposition den Abschluss als Täuschungsmanöver. Der Abschluss beruhe im Wesentlichen auf einmaligen Effekten wie dem Verkauf der GSW, erklärte der CDU-Haushaltsexperte Alexander Kaczmarek. Die gesparte Milliarde beruhe nicht auf strukturellen Sparmaßnahmen, bemängelte der Grünen-Finanzexperte Jochen Esser.