Zeit der Gastlichkeit

Mit „Zeit der Wünsche“ (ARD, heute und Fr., 20.15 Uhr) erzählt endlich auch ein TV-Film von deutschtürkischem Leben aus der Binnenperspektive

VON CLEMENS NIEDENTHAL

Wegen der Wand. Fatih Akins Grenzerfahrungsdrama „Gegen die Wand“ hat das öffentliche Interesse am Schicksal von Migranten erst geweckt. Nun berichtet der TV-Zweiteiler „Zeit der Wünsche“ in narrativer Breite und inhaltlicher Tiefe von der komplexen Identitätsarbeit junger Deutschtürken – auf eine Weise, wie sie bisher höchstens unter den besonderen Bedingungen eines „Tatort“-Krimis möglich schien.

Im Kino immerhin hatte es etwas ganz Ähnliches schon gegeben. Womit wir schon wieder bei Fatih Akin wären, in dessen „Solino“ Moritz Bleibtreu und Barnaby Metschurat zwei ungleiche italienische Brüder im Deutschland der Siebzigerjahre spielen. Erhan Emre und Tim Seyfi sind in „Zeit der Wünsche“ zwei ungleiche anatolische Freunde in der gleichen Epoche. Und auch das Kolorit, das den Film abwechselnd kohlengrubenschwarz und hoffnungsgrün färbt, manchmal auch poppig bunt. Es erscheint das Gastarbeiterepos als Genrefilm, in dem letztlich einzig kulturelles Kapital zum Fahrschein in ein besseres Leben wird. Mustafa (Erhan Emre) zumindest hat bald eine deutsche Freundin und eine amerikanische Frisur.

Sein Freund Kadir geht derweil den umgekehrten Weg. Er bekommt einen Bart, goldene Schneidezähne und jene fundamentalistische Weltanschauung, über die Menschen bei Maischberger und Sabine Christiansen so gerne reden. Der Kadir aus Köln sozusagen. Dort hat er einen Ford Transit und einen kleinen Supermarkt. Frau und Tochter verpflichtet er zum Kopftuch. Die Tochter rebelliert, flieht zunächst ins Freibad und dann zu Mustafas Lebensliebe, die ihre Lust am neuen, freien Leben später teuer bezahlen wird – „Zeit der Wünsche“ beginnt mit einer Bluttat, von der aus sich der Film in einer Rückschau öffnet.

All das klingt nun nach den gutmenschelnden Deutschlandbildern von „Lindenstraße“ bis „Marienhof“, nach linksliberalem Stellvertreterfernsehen in bester Absicht und hehrer Moral.

Wäre Regisseur und Co-Autor Rolf Schübel („Gloomy Sunday“) nicht so konsequent inkonsequent, letztgültige Schuldzuweisungen tunlichst zu vermeiden. Denn so sehr sich die einzelnen Protagonisten auch in die Klischees fügen, so selbstverständlich werden diese Klischees immer wieder zur Disposition gestellt. „Zeit der Wünsche“ fragt nicht nach den Guten und den Bösen, schon gar nicht nach einem Multikulti-Idyll zwischen Fladenbrot und Volkstanzfest. Der Film verweigert es in letzter Konsequenz, Parteigänger eines so genannt politisch korrekten Miteinanders zu sein – er bleibt einfach nur Chronist einer Epoche, in der junge Menschen aus der anatolischen Provinz zu Deutschländern wurden. Ein Leben zwischen den Orten.

Damit aber so was im Ersten und um 20.15 Uhr funktionieren kann, spaltet sich „Zeit der Wünsche“ in Geschichtsfernsehen auf der einen und in eine melodramatische Liebesgeschichte auf der anderen Seite. Letztere steht immer wieder im Weg herum und verstellt den Blick auf die Probleme der Helden in ihrer neuen Welt, auf ihre Finten und Strategien, ihren Zweckoptimismus und ihre Ironie. Dabei ist es gerade dieser Blick hinter die kalkulierte Erzählstruktur des Migrationsmelodrams, der „Zeit der Wünsche“ ziemlich sehenswert macht. Der Rest bleibt kaum mehr als eine Rosamunde Pilcher der Schlachthöfe.