JOSEF WINKLER über ZEITSCHLEIFE
: Verpfuschte Plastikexistenz

Die Zeitdiebe müssen zurückgeschlagen werden. Etwa, wenn sie einem innovative Technik andrehen wollen

Es ist ja generell so – das kann man dieser Tage etwa daran ablesen, dass schon wieder Januar ist, wo doch gerade erst letztens einer war –, dass die Zeit recht schnell vergeht. Aber zwei Jahre, habe ich das Gefühl, ist ein Zeitraum, der vergeht besonders schnell. Gerne verstiege ich mich zu Ihrem Gaudium jetzt zu der Behauptung, mir komme es so vor, als vergingen zwei Jahre sogar noch schneller als ein Jahr. Aber hören Sie mal, das wäre ja der direkte Widersinn. Ich mache Ihnen doch hier nicht den Hausdeppen.

Sagen wir so: Zwei Jahre is the new ein Jahr, wenn man in ein gewisses Alter kommt. Es geht ja nur vorwärts, weil man immerzu linear mit der Zeitachse mitmuss, infolgedessen ein Alter, in das man kommt, praktisch ausnahmslos ein höheres ist als das, aus dem man kommt (außer freilich, man ist mein Kollege, der jetzt vor lauter Midlifecrisis oder so mit dem Zigarettenrauchen, das er sich vor neun Jahren abgewöhnt hat, wieder angefangen hat, wodurch er jetzt nicht nur irgendwie voll so total jünger geworden ist, sondern – „Doppelnutzen!“, denkt er sich wohl – auch nicht mehr so elend alt werden muss), und so geht es immer schneller, das hat was mit der Hirnchemie zu tun, da hilft kein Zähneknirschen, allein Das-sich-Wehren gegen die Zeitdiebe und ihre Kniffe. Ich selbst ging letzthin als Sieger aus einem Scharmützel hervor.

Früher, im ausgehenden 20. Jahrhundert, hatte ich ein Mobiltelefon, das war so groß wie eine Milka-Familientafel und kannte keinen Firlefanz. Nun mag einer sagen, schon die Mobiltelefonie an sich sei eine Anfechtung, der es Widerstand zu leisten gelte. Ich aber sage: Mal halblang, das kann schon recht praktisch sein. Man darf sich nur nicht alles bieten lassen.

Ich frage mich, wie sich das die Handy-Fabrikanten in näherer Zukunft vorstellen ohne eine vom galoppierenden Innovationszwang entkoppelte Produktlinie („Classic“ oder so) für meine Generation. Telefone, mit denen man einfach telefonieren kann. Gut, vielleicht werden längst ja auch keine Küchenquirle mit 0-1-2-3-Schalter mehr hergestellt, sondern nur noch solche, deren chipgesteuertes Präzisionslaufwerk man über komplexe Untermenüs für die zu quirlende Substanz optimieren und dann per Infrarot-Control annicken muss. Das habe ich dann einfach noch nicht mitgekriegt, weil mein alter Quirl noch geht. Handys haben aber andere Halbwertszeiten als Quirls. Dem Rechnung tragend, bietet mir mein Mobilfunk-Partner alle zwei Jahre den Kauf eines neuen „Endgerätes“ zu „Vertragskonditionen“ an. Da will man dann nicht so sein und bestellt das aktuelle Standardmodell.

Früher, im ausgehenden 20. Jahrhundert, war derjenige mit seinem Mobiltelefon technisch weit vorn, der – kein Witz – die UHRZEIT auf dem Display hatte. Mit dem Ding, das ich da vor zwei Wochen in Betrieb nahm, könnte man wohl eine Marsmission koordinieren, wäre man gewillt, sich anhand des mitgelieferten Anleitungsbuches in den Dschungel von Menü-Optionen einzuarbeiten, der sich bei der leisesten Tastenberührung auftut, und dann baut es ungefragt eine Internetverbindung auf und loggt mich irgendwo ein. Der Apparat ist so klein, das Display, auf dem ja schließlich Farbfilme abgespielt werden müssen, dabei so riesig, dass kaum Platz für das Tastenfeld blieb und so jede Bedienung in ein aufwändiges Gefriemel ausartete. Es gelang mir nicht einmal, den grässlichen Klingelton zu verstellen, denn nein: ich mag dieses Begleitbuch nicht aufschlagen. Ich mag meinem Handy keine Zeit widmen. Ich will damit telefonieren. Ihm war’s egal und so fing es zuletzt auch noch an, abzustürzen. So richtig, wie ein Computer. Einfach stehen zu bleiben.

Ich stellte keine weiteren Fragen, entnahm die SIM-Karte und verpflanzte sie zurück in den alten, grauen Vorgänger, mit dem ich seither wieder sehr gut zusammenarbeite. Das neue Teil mit seinem fancy Fotofarbdisplay ist derweil in seiner Originalverpackung auf dem Weg zur Südasien-Benefizversteigerung bei eBay. Auf dass es einmal in seiner verpfuschten Plastikexistenz etwas Gutes leiste.

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