Ein Kämpfer gegen das Notstandsrecht

Der syrische Rechtsanwalt Aktham Naisse erhält den jährlichen Menschenrechtspreis der Martin-Ennals-Stiftung

Am kommenden Sonntag hat Rechtsanwalt Aktham Naisse seinen nächsten Prozesstermin vor dem Obersten Staatssicherheitsgericht Syriens. Die Anklage lautet auf „Widerstand gegen die Ziele der Revolution“ und „Verbreitung falscher Informationen mit dem Ziel der Schwächung des Staates“. Doch in Wirklichkeit geht es darum, einen Kämpfer für Demokratie und Menschenrechte mundtot zu machen und Gleichgesinnte einzuschüchtern. Ein Einspruch gegen ein Urteil des Staatssicherheitsgerichts ist nicht möglich.

Heute zeichnet die Martin-Ennals-Stiftung den 53-jährigen Anwalt mit ihrem Menschenrechtspreis aus, der mit 20.000 Schweizer Franken dotiert ist. Die Stiftung wird von neun internationalen Menschenrechtsorganisationen getragen, darunter amnesty international, Human Rights Watch und das Menschenrechtsbüro des Diakonischen Werks.

Naisse, der in der Hafenstadt Lattakia lebt, absolvierte seine Ausbildung im Jemen, der Sowjetunion, dem Irak und Ägypten. Als Verteidiger in Menschenrechtsfällen wurde er bald bekannt. Er scheute sich nicht, öffentlich für seine Position einzustehen – ein in Syrien sehr mutiger Schritt. Sein besonderes Anliegen ist die Aufhebung des Notstandsrechts, das 1963 verhängt wurde, als die bis heute herrschende Baath-Partei an die Macht kam. Sechs Mal wurde der Mitbegründer und heutige Vorsitzende des 1989 ins Leben gerufenen Komitees für die Verteidigung demokratischer Freiheiten und Menschenrechte in Syrien (CDDLHR) festgenommen. Von 1991 bis 1998 saß er im Seydnaya-Gefängnis in Einzelhaft, wo er auch gefoltert wurde.

Auch nachdem im Juli 2000 Baschir al-Assad die Nachfolge seines verstorbenen Vaters Hafis al-Assad an der Spitze des Staates antrat, hat sich Naisses Situation nicht grundlegend verbessert. Im Januar 2004 wurde er einen Tag lang vom militärischen Geheimdienst festgehalten, nachdem er eine Online-Petition mit 7.000 Unterschriften lanciert hatte, in der die Aufhebung des Notstandsrechtes gefordert wurde. Doch einschüchtern ließ er sich nicht. Am 8. März, dem 41. Jahrestag des Baath-Putsches, organisierte er einen der seltenen öffentlichen Proteste. Das CDDLHR veranstaltete eine Sitzblockade vor dem Parlament für die Freilassung der politischen Gefangenen. Die Sicherheitskräfte nahmen Naisse und mehrere andere Teilnehmer vorübergehend fest. Doch schon am 13. April wurde Naisse erneut inhaftiert und diesmal auch angeklagt. Im August wurde er gegen eine Kaution von 10.000 syrischen Pfund (ca. 140 Euro) entlassen, ein in Syrien ungewöhnliches Vorgehen. Einige Beobachter in Damaskus werten das als ein kleines positives Zeichen im Hinblick auf das noch ausstehende Urteil.

„Wir gehen ins Gefängnis, aber wir haben keine Angst“, sagte Naisse bei seiner Festnahme im März. „Es ist Zeit, deutlich zu machen, dass ein großer Teil der Menschen mit dem Status quo nicht zufrieden ist.“ BEATE SEEL