theater
: Jeder Satz ein Kosmos

Antigone auf Torf – warum nicht? In eine archaische Nachkriegslandschaft aus zerwühlter Erde, Bruchstein und ineinander verkeilten Euro-Paletten hat Bühnenbildner Wolfgang Langner den KellerPavillon in der Kölner Südstadt für die Tragödie des Sophokles verwandelt. Als ihre Abschlussarbeit inszeniert Julia Beinlich, Regiestudentin am Theater der Keller, die Geschichte der mutigen Tochter des Ödipus, die das Gesetz der Sitte über das des Staates stellt und dafür mit dem Tod büßt.

Herausgekommen ist eine Produktion, die ihresgleichen sucht. Konsequent bürstet hier eine Regisseurin, die sehr genau weiß, was sie will, einen alten Sagenstoff gegen den Strich, nimmt einer Tragödie die Schwere, ohne ihre fatale Dimension zu unterschlagen. Ihr zur Seite stehen zwölf begeisterte JungschauspielerInnen, die mit vollem Einsatz lebensechtes Pathos spielen.

König Ödipus ist tot, sein Sohn Polyneikes im Kampf gegen den neuen Herrscher Kreon (Michael Meichßner) gefallen. Doch Rebellen bekommen kein ehrenvolles Begräbnis, dekretiert Thebens neuer Potentat und verbietet jedes Totenritual – die Vögel sollen Polyneikes fressen. Das kann Antigone (Annette Müller) nicht zulassen. Heimlich verscharrt sie den Bruder, wird entdeckt und zum Tod verurteilt. Am Ende stirbt nicht nur sie allein, doch das ist nicht das Thema. Die Auseinandersetzung zwischen Antigone und Kreon bildet das Herzstück dieses Dramas, das Machtspiel zwischen erklärtem und gefühltem Gesetz ist es, das Julia Beinlich so engagiert und spannend auf die Bühne bringt.

Wo die Kostüme eher plakative Botschaften aussenden (Powergirl Antigone im Tanktop, Military-Kreon mit Tarnjacke), läuft die Inszenierung in Sachen Sprache, Mimik und Gestik zur ganz großen Form auf. Julia Beinlich gelingt eine subtile Figurenzeichnung, die aus einem Blick, einer Bewegung die maximale Intensität herauskitzelt. Stimmlich verlangt sie ihren Akteuren das Letzte ab, lässt sie alle nur möglichen emotionalen Schattierungen durch bloßen Wortklang darstellen, lässt ein und dieselbe Stimme eindrucksvoll von ganz laut nach ganz leise modulieren. Die explosiven Dialoge zwischen Antigone und Kreon, aber auch zwischen Kreon und seinem Sohn Haimon (Juri Padel) werden auf diese Weise zu dramaturgischen Glanzstücken, in denen jeder Satz ein Kosmos ist und jede Geste eine eigene Geschichte erzählt.

Auch die Nebenfiguren setzt die Regisseurin mit großer Sorgfalt in Szene: Ob nun der Trümmer räumende Chor oder der kunstvoll die Augen verdrehende Seher Teiresias (Julia Graf) – sie alle tragen zum runden Gesamteindruck dieses Theatererlebnisses bei. Kompliment, Frau Beinlich! Kleiner Tipp an manchen arrivierten Regisseur: So geht das. Holger Möhlmann

„Antigone“, KellerPavillon, Georgstr. 9-13, Tel. 0221/31 80 59, nächste Vorstellungen: 13./14.01., jeweils 20 Uhr