„Ich habe mir nichts vorzuwerfen“

Innendeputation der Bürgerschaft tagte zum Thema „Brechmittel-Skandal“. Die Grünen sehen alle Vorwürfe bestätigt und fordern den Rücktritt, Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) hat sich „nichts vorzuwerfen“

Bremen taz ■ Der Innensenator denkt gar nicht daran, zurückzutreten. „Ich habe mir persönlich nichts vorzuwerfen“, erklärte Thomas Röwekamp (CDU) gestern. Die Innendeputation hatte zweieinhalb Stunden über den Todesfall des 35-jährigen Mannes aus Sierra Leone debattiert, der am 27. Dezember nach zwangsweiser Brechmittelvergabe und nachfolgender Magenspülung ins Koma gefallen war.

Die Überraschung der Sitzung: Nach einer Dienstanweisung des ärztlichen Beweissicherungsdienstes vom März 2001 hätte die Brechmittelvergabe bei der heftigen Gegenwehr des mutmaßlichen Dealers gar nicht durchgeführt werden dürfen: „Die Magensonde darf nur gelegt werden, wenn der Beschuldigte nicht durch heftige Gegenwehr ein sachgerechtes ärztliches Vorgehen unmöglich macht“, heißt es da. Unterzeichnet hat die Anweisung der Leiter des Beweissicherungsdienstes Michael Birkholz. Offen blieb der Anlass für diese Dienstanweisung, denn die staatsanwaltliche Verfügung über zwangsweise Brechmittelgabe per Sonde existiert seit 1995. Warum erst sechs Jahre später eine Dienstanweisung? Sie sei die Reaktion auf den Tod des Hamburger Dealers, erklärte der SPD-Justizstaatsrat Ulrich Mäurer gestern. Das kann aber nicht stimmen: Der Hamburger Skandal datiert auf Dezember, die Dienstanweisung stammt vom 1. März.

Mäurers Erklärung, wie die bisherige Praxis der zwangsweisen Brechmittelgabe mit dem Papier vereinbar sei, war dann erst recht gewagt: „Unter Zwang heißt, dass der Betroffene das mitträgt. Es heißt nicht, dass jemand Widerstand leistet.“ Wenn also ein Verdächtiger das Mittel nicht freiwillig schluckt, sich aber ohne sich zu wehren eine Magensonde legen lässt, dann fällt das unter die Formulierung „unter Zwang“. So etwas, wie am 27.12. auf dem Polizeipräsidium geschehen, hätte es demnach überhaupt nicht geben dürfen. Man sei davon ausgegangen, dass seit Erlass der Anweisung auch so verfahren werde, so Staatsrat Mäurer gestern, und: „Wenn es sich herausstellen sollte, dass entgegen dieser Regelung es zu Eingriffen gekommen ist, die nicht zu vertreten sind, wird es eine Rückkehr zur bisherigen Praxis nicht geben.“

In der Schusslinie von Innen- und Justizressort stehen nun die Ärzte. Nachdem zuvor Mäurer erklärt hatte, allein der Arzt sei für den Sondeneingriff verantwortlich, schoss Röwekamp gegen den Notarzt, der alles ans Licht gebracht hatte: Der Notarzt sei im Rahmen seines Einsatzes dem Innenressort unterstellt, hätte vor der Presse also das Ressort informieren müssen, erklärte Innensenator Röwekamp, dienstrechtliche Folgen würden geprüft. Und so sei es gekommen, dass der Senator bei der Interview-Anfrage von buten un binnen am 4. Januar von dem Vorgang nichts gewusst habe und zwischen öffentlichem Interesse an Auskunft und Ressortinteresse an Aufklärung habe „abwägen“ müssen. „Ich habe mich entschieden, mit meinem Informationsstand ein Interview zu bestreiten.“ Es war das Interview, in dem Röwekamp erklärt hatte, der Dealer leide an einer schweren Vergiftung und sei aber außer Lebensgefahr. Tatsächlich war der Mann längst hirntot. „Ich musste von dem mir durch die Polizei vermittelten Kenntnisstand ausgehen.“ In deren Bericht von der Nacht hieß es: Der Mann „kollabierte, nachdem Kügelchen mit Kokain im Magen geplatzt waren. Lebensgefahr ist nicht auszuschließen.“ Im Bericht einen Tag später hieß es: „Nach Stabilisierung seines Zustandes“ sei der Verdächtige ins Krankenhaus gebracht worden. Das Wort „Stabilisierung“ habe er dann als „nicht mehr in Lebensgefahr interpretiert“ und auch so im Interview gesagt, so der Innensenator gestern. Der Senator findet in der bisherigen Praxis sowohl die Rechtsprechung als auch die Innenministerkonferenz auf seiner Seite. Er sehe seine Verantwortung in der Aufklärung des Sachverhalts „und darin, dass wir die Bevölkerung vor Drogenhandel schützen.“ Es könne nicht sein, einem Verdächtigen freizustellen, ob er Brechmittel nehme: „Es muss andere vertretbare Mittel geben.“

Während die CDU-Fraktion ihren Senator beklatscht und „alle Vorwürfe ausgeräumt sieht“, gibt sich die SPD noch skeptisch: Die Leitstelle der Feuerwehr hat in der Nacht den Notarztwagen beim Krankenhaus angekündigt mit der Information: „35jähriger männlicher Patient, Atemstillstand, Zustand nach Ertrinken“. Von Vergiften keine Rede. „Wieso diese Information, die sogar wie alle Notarztanforderungen auf Band gespeichert wurde, bei der Vorbereitung der Fernsehsendung nicht bis zum Senator vorgedrungen ist, muss noch aufgeklärt werden“, findet die SPD. Und dass Röwekamp vor der Deputation die zwangsweise Brechmittelvergabe weiter vertreten hat, missfällt der SPD. Über das von den Grünen angekündigte Misstrauensvotum gegen Röwekamp werde man demnächst beraten. Susanne Gieffers

Bericht über die Forderungen der Grünen Seite 7