DIETER BAUMANN über LAUFEN
: Dem Gipfel so nah

Sie glauben, Marathonvorbereitung und Skiurlaub schließen sich aus? Dann nehmen Sie mal an einer Skitour teil!

Im letzten Jahr kam ein Läufer zu mir, der den Frühjahrsmarathon in Hamburg vorbereiten wollte. Es sollte für ihn Bestzeit werden, unter 3 Stunden. Das ist nicht langsam und er erwartete von mir einen über einige Wochen ausgeklügelten Trainingsplan. Ich kritzelte Zahlen aufs Papier, malte Kurven und schuf ein wunderbares Werk, das geradewegs zum Erfolg führen musste, zumindest dachte ich das.

Lange schaute er auf mein Kunstwerk, studierte die Wochenkilometer, die schnellen Einheiten und die Anzahl der langen Läufe. Ich spürte,m wie er seinen ganzen Mut zusammennahm, und sagte: „Das Fahrtspiel am Donnerstag kann ich nicht machen“, dabei tippte er mit dem Finger auf die dritte Woche. „Was heißt, das kann ich nicht machen?“ fragte ich entgeistert. „Ich bin im Skiurlaub.“ Es entstand eine Pause, dann fragte er ängstlich in die Stille hinein: „Ist das sehr schlimm? Geht das überhaupt in der Marathonvorbereitung?“ „Klar geht das“, sagte ich, ohne mir meine Bedenken anmerken zu lassen, „man kann doch überall laufen.“

Ich erzählte ihm die Geschichte, wie ich in Portugal an einem kleinen Flughafen gestrandet war und dreimal um den Flugplatz gelaufen bin, damit keine Trainingseinheit verloren ging. Das hat ihm irgendwie Mut gemacht, zudem strich ich für diese Woche die schwierigen Einheiten einfach weg und schon hellte sich seine Miene wieder auf. Genau dieses Lächeln kam mir vor kurzem wieder in den Sinn.

Ich war im Skiurlaub, fünf Tage. Am Mittag des ersten Tages fuhr ich mit meinen Skifreunden in einer Gondel, dabei fiel unser Blick auf die lange serpentinenartige Straße, die mitten ins Skigebiet führte. „Heute Abend werde ich auf dieser Straße hochlaufen“, verkündete ich. Meine zwei Kollegen schauten mich ungläubig an, sagten mir allerdings spontan zu, mitzumachen. Alle Skifahrer wissen es: wir liefen natürlich nicht. Weder am ersten Tag, geschweige denn an den darauf folgenden Tagen. Mit Entsetzen dachte ich an den armen Kerl, dem ich vor einem Jahr in seinem Skiurlaub empfahl, „ein bisschen“ zu traben – will heißen: locker zu laufen. Ein geradezu unmenschliches Unterfangen. Irgendwie sind die Beine am Abend immer unerklärlich müde.

Um trotz Skiurlaub läuferisch in Schwung zu bleiben und neue Trainingsmöglichkeiten zu testen, entschloss ich mich, an einer Skitour teilzunehmen. Die Spannung beginnt schon bei der Ausrüstung. Neben Skiern mit spezieller Bindung braucht man dazu noch Felle. Diese streift man unter den Ski und schon kann man fast mühelos aufsteigen. Nun „mühelos“ ist relativ. Die Felle wirken nicht nur wie eine Art Bremse, man kann auch darauf gleiten. Das heißt, wenn man die Technik beherrscht. Davon war ich weit entfernt und so stapfte ich mühevoll auf einer vorgespurten „Zubringerloipe“, ohne vom bequemen Diagonalschritt Gebrauch machen zu können. Ich kämpfte mich durch diese Anlaufschwierigkeiten, wechselte vor dem eigentlichen Aufstieg die erste Garnitur durchgeschwitzter Wäsche und stapfte durch den tiefen Schnee den Berg hinauf.

Von diesem Moment an würde ich sagen, ich war in meinem Element. Vielleicht ist auch das übertrieben, denn der Bergführer gab mir durch Gestik und Tempo immer zu verstehen, dass das Kinderturnen seines Sohnes anspruchsvoller ist als diese Tour. Aber was soll’s. Wir waren dem Gipfel ganz nah – wirklich –, dann blieb er plötzlich stehen und schaute mit besorgter Miene in den vor uns aufragenden Steilhang. Diese Pause gab mir Gelegenheit, ein zweites Mal die Wäsche zu wechseln und durchzuschnaufen. Das war auch notwendig, denn große Schneeberge verhinderten den weiteren Aufstieg und wir mussten abfahren.

Nur kurz war ich darüber erleichtert. Nach nur wenigen Schwüngen – ich glaube mehr als zwei waren es nie – auf halsbrecherischen Steilhängen im tiefen Schnee wäre ich trotz schweißtreibender Arbeit lieber noch weiter aufgestiegen. Ob das Ganze für eine Marathonvorbereitung in Betracht kommt, fragen Sie? Auf jeden Fall.

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