HSV schafft Abseits ab

ERLÖSUNG Der Hamburger SV erreicht sein Minimalziel und qualifiziert sich für die Europa League. Möglich wurde das durch ein Siegtor gegen Frankfurt in der Nachspielzeit – und durch schwächelnde Dortmunder

„In der 90. Minute im letzten Bundesligaspiel gibt es kein Abseits“

Dietmar Beiersdorfer

VON INGO DURSTEWITZ

Zum guten Schluss sah es im Freudentempel zu Frankfurt so aus, als hätte der HSV gleich alle drei Titel abgestaubt: die Meisterschaft, den DFB-Pokal und natürlich auch den Uefa-Cup. Um 20 nach fünf an diesem Samstag Nachmittag mutierte selbst der Brummbär zum Rumpelstilzchen, er tanzte ausgelassen vor den gut 10.000 Hamburger Fans, die die weite Reise nach Frankfurt mit angetreten hatten und immer weiter seinen Namen riefen: „Martin, Martin, Martin.“ Eine halbe Stunde krächzte Brummbär Martin Jol, der Trainer des HSV, nur noch: „Wir sind sehr, sehr zufrieden.“ So hört sich also Glückseligkeit an.

Womöglich wurde auch ihm irgendwann gewahr, dass die Hamburger letztlich nur das minimalste Minimalziel erreicht hatten: Platz fünf, Qualifikation für den Uefa-Cup, der ab kommender Saison Europa League heißt. Noch vor fünf Wochen wäre das als Selbstverständlichkeit abgekanzelt worden, nun scheint es der Glücksfall schlechthin. Denn wer schon fast alles verspielt hat, freut sich über das bisschen, was er bekommt. Erst recht in einem dramatischen Saisonfinale.

90. und allerletzte Minute in Frankfurt: Auf einmal steht der eingewechselte Piotr Trochowski links draußen frei, keiner weiß, wieso. Der Nationalspieler wartet, tippt den Ball an, schaltet, wie er später sagen wird, „das Gehirn aus“ – und knallt die Kugel mit Karacho ins lange Eck. 3 : 2. Ein Schuss ins Glück. Trochowski, stinksauer ob seines Platzes auf der Ersatzbank, hatte seinen ganzen Frust in diesen finalen Spannstoß hineingelegt. Trainer Jol sagte später mit einem süffisanten Lächeln: „Vielleicht war er ein bisschen verärgert. Das hat man bei seinem Tor gesehen.“ Trochowski stellte seine schlechte Laune auch im Gespräch mit den Reportern zur Schau. Schmallippig, grimmig blickend, Hände in den Taschen wollte er sich auch zu keinem Bekenntnis pro HSV durchringen. Trochowski sieht sich in der Champions League, nicht im Verlierer-Cup. Ob er daher überlege, was anderes zu machen? „Nächste Frage“, blaffte er.

So oder so: Sein Tor war es, das Felsbrocken von vielen Herzen purzeln ließ. „Wir sind hoch geflogen und abgestürzt“, formulierte Sportdirektor Dietmar Beiersdorfer und ergänzte: „Aber der letzte Schlag lag bei uns. Wir hatten das letzte Wort.“ Und weil Fortuna es so spät so gut mit dem HSV meinte, setzte Beiersdorfer auch kurzerhand mal die Gesetze des Fußballs außer Kraft, alldieweil: Beim Siegtreffer standen inklusive Schütze Trochowski gleich fünf Hamburger Spieler im Abseits. „In der 90. Minute im letzten Bundesligaspiel gibt es kein Abseits“, sagte er glattweg.

In Hamburg sind sie einfach nur gottfroh, diese Saison halbwegs gerettet zu haben. Es schien ja so, als würden sie binnen eines Monats alles verspielen. Das Spiel in Frankfurt war ein Spiegelbild der vergangenen Wochen: Da schien der HSV erst alles locker klarzumachen, führte 2 : 0, zeitgleich fiel das 1 : 0 für Gladbach gegen Dortmund. Doch binnen sieben Minuten drohte alles zu zerrinnen, 2 : 2 in Frankfurt, 1 : 1 in Gladbach. Der HSV am Boden. „Es wäre ein Absturz gewesen, wenn wir nicht international dabei gewesen wären“, sagte Beiersdorfer. Doch dann kam die 90. Minute. „Dieses Tor“, frohlockte der Sportchef, „dieses Tor hat auch die Zukunft des Klubs bestimmt, was Image und Reputation anbelangt.“

Beiersdorfer gewährte in diesem emotionalen Glutofen von Frankfurt denn auch Einblicke in seine Gefühlswelt. „Die letzten vier Wochen waren emotional sehr schwierig für den ganzen Organismus HSV. Da sind viele Träume zerplatzt, viele Erwartungen und Hoffnungen haben sich aufgelöst.“ Eines aber haben die Hamburger in dieser 90. Minute geschafft. „Wir können“, sagte er, „mit einem Lächeln aus der Saison gehen.“ Immerhin.