Föderalismus: Bildung bleibt Knackpunkt

Bildungs- und Föderalismusreformen lassen sich nicht entzerren: Die Sozialdemokraten wollen Bildung zum Topthema im Wahlkampf für 2006 machen. Daher ruft die Union mit zunehmender Härte nach aller Bildungsmacht für die Bundesländer

VON CHRISTIAN FÜLLER

Jetzt müssen schon weiche Tiere für den harten Föderalismuskampf herhalten. Die Union sei ja bereit, „bestimmte Kröten zu schlucken“, sagte Hamburgs CDU-Bürgermeister Ole von Beust gestern. Aber der Bund dürfe seine Ansprüche in der Bildungspolitik auf keinen Fall ausweiten. Sonst sei eine Einigung im Kompetenzstreit zwischen Bund und Ländern unmöglich.

Von Beust ist nicht der einzige Unionspremier, der das so sagt. Roland Koch (Hessen) will dem Bund null Kompetenz in der Bildung zugestehen. Peter Müller (Saarland) akzeptiert nicht einmal den Bundespräsidenten als Vermittler in dem Streit darum, wie Gesetze schneller verabschiedet werden könnten. 60 Prozent der Gesetzesvorstöße des Bundestages können die Länder im Bundesrat stoppen.

Kurz vor Weihnachten war die weitgehende Einigung in der Föderalismusreform überraschend gescheitert – an der Bildung. Und jetzt torpedieren die Ministerpräsidenten das Krisengespräch, das Bundespräsident Horst Köhler mit den Vorsitzenden der Föderalismuskommission Edmund Stoiber (CSU) und Franz Müntefering (SPD) am Dienstag führte. Müntefering äußerte sich gestern vorsichtig optimistisch. Eine Einigung müsste möglich sein – „wenn alle sich mit gutem Willen daran beteiligen“, sagte er.

Dennoch sinken die Chancen auf ein erfolgreiches Neujustieren der Machtverteilung zwischen Bund und Ländern. Denn die SPD ist drauf und dran, Bildung zu ihrem Wahlkampfthema Nummer eins zu machen. Alle möglichen Bildungs-AGs und Zukunftskommissionen, die bislang kaum jemand beachtete, werkeln am neuen alten Megathema der Sozialdemokratie. Parteichef Müntefering etwa will nicht länger hinnehmen, dass bereits in der 4. Klasse über die Karriere eines Kindes entschieden werden müsse. Der Parteivorsitzende ist damit nicht nur der erste echte Toppolitiker, der die frühe Auslese kritisiert – er berührt zugleich in eine bislang unumstrittene Kernkompetenz der Länder.

Im Willy-Brandt-Haus wird zwar dementiert, die Aussage des SPD-Chefs ziele auf die Föderalismuskommission. Die Union aber wird sich gern in ihrer Mutmaßung bestätigt fühlen, dass die SPD die Bildungskompetenzen des Bundes ausweiten will. Die ultimative Forderung des Wortführers der Union, Roland Koch, lautet daher auch: Alle Bildungsmacht den Ländern.

Dass ein Industriestaat wie die Bundesrepublik seine Wissenspolitik nicht ausschließlich regional organisieren kann, ist in der Fachwelt unumstritten. Auch politisch so zurückhaltende Pisa-Forscher wie der der Direktor des Berliner Max-Planck-Instituts, Jürgen Baumert, und die Chefs der großen Wissenschaftsorganisationen raten dringend zur koordinierenden Mitwirkung des Bundes bei Schul - und Hochschulfragen.

Darauf setzen die Sozialdemokraten. „Die entscheidende Frage ist doch: Wie viel Bund braucht Bildung und Wissenschaft?“, sagt etwa der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Jörg Tauss. „Von den Ländern werden 10 Prozent eines Jahrgangs als Schulabbrecher entlassen – und der Bund kümmert sich dann um deren Ausbildungsabschlüsse“, sagte Tauss der taz. „Das heißt, wir sollen einerseits die Versäumnisse der Länder ausgleichen – obwohl wir andererseits keinerlei Zuständigkeit für Bildung mehr haben sollen.“

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