Die Politik der sauberen Hände

Mit welchen Techniken die Grünen durch die Widrigkeiten der Sozialpolitik lavieren – und damit ihre WählerInnen zufrieden stellen

Sozialpolitik der Grünen? Haha. Ist das nicht ein Lehrstück in Sachen Opportunismus? Wie war das noch mit der höheren Erbschaftsteuer? Oder mit der Wiedereinführung der Vermögensteuer? Von wegen Umverteilung von oben nach unten. Und dann erst das Thema „Grundsicherung“ – vor Jahren tönten die Grünen vom armutsfesten Grundeinkommen für alle Bedürftigen, und jetzt haben sie Hartz IV mit zu verantworten, das alle Langzeitarbeitslosen kurzerhand auf Sozialhilfe setzt.

Wer die praktische, die mit zu verantwortende Sozialpolitik der Grünen an deren moralischen Maßstäben von Gerechtigkeit misst, der muss in Häme verfallen. Häme über eine Partei, die zwar immer wieder Verteilungsfragen thematisiert, den Graben zwischen Reich und Arm beklagt, die aber genauso selbstverständlich als Fraktion im Bundestag die polarisierende Politik der vergangenen Jahre mitgetragen hat, sei es bei Hartz IV, sei es bei der Gesundheitsreform, oder sei es bei der Unternehmensteuerreform.

Doch Schadenfreude ist zu billig. Denn obwohl sich die Grünen gerne als besonders „authentische Partei“ gerieren, ist genau das der falsche Maßstab. Ihre eigentliche politische Besonderheit besteht vielmehr darin, welche Vielfalt an Techniken die Grünen entwickelt haben, um die Kluft zwischen Anspruch und Wirklichkeit immer wieder plausibel erscheinen zu lassen.

Eine dieser Techniken ist die Suggestion: „Wir konnten leider nichts machen, also haben wir mitgestimmt, aber jetzt kämpfen wir für Verbesserungen.“ So haben die Grünen erst für Hartz IV votiert, um sich jetzt für bessere Hinzuverdienstmöglichkeiten für Arbeitslose einzusetzen.

Eine weitere Technik besteht im Vermeiden von heiklen Entscheidungspositionen, in einer Politik der „sauberen Hände“. So soll Joschka Fischer die Idee, den Posten der Gesundheitsministerin wieder mit einer Grünen zu besetzen, vor Jahren abgelehnt haben mit den Worten: „Das ist ein Amt für politische Selbstmörder.“ Denn in der Gesundheitspolitik muss man sich notgedrungen die Finger schmutzig machen.

Weiterentwickelt haben die Grünen auch ihren Opportunismus. So waren zu den Boomzeiten der New Economy auch die Grünen dafür, die Verkäufe von Beteiligungen an Aktiengesellschaften für die Unternehmen steuerfrei zu stellen. Schließlich käme das ja auch „vielen Kleinaktionären zugute. Auch Menschen mit geringem Einkommen kaufen ja Aktien“ erklärte damals der grüne Finanzpolitiker Klaus Müller. Die grünliberalen WirtschaftspolitikerInnen sind inzwischen medial abgetaucht, die Konjunktur läuft einfach zu schlecht.

Beliebt bei den Grünen ist auch das „Mañana-Prinzip“ nach dem Motto: Morgen, morgen wird alles gerechter, wenn erst mal die nötige praktische Arbeit getan ist. So plädierte die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen erst kürzlich wieder dafür, die Erbschaftsteuer zu erhöhen und das leider unzulängliche Hartz IV zu einer „armutsfesten Grundsicherung“ „weiterzuentwickeln“. Weiterentwickeln lässt sich vieles, irgendwann.

Die Sozialpolitik der „sauberen Hände“, Opportunismus, gemischt mit ein bisschen Sich-selbst-Belügen: Mit diesen Techniken spiegeln die Grünen die Befindlichkeiten und Widersprüche ihrer vor allem bürgerlichen Klientel wider. Und werden genau deswegen immer wieder gewählt. Natürlich, weil alle anderen Alternativen schlimmer wären. Kann sich eine Partei, können sich WählerInnen mehr wünschen? Das ist die Frage. BARBARA DRIBBUSCH

Barbara Dribbusch, 48, erinnert sich trotz einigen Missmuts immerhin an einige mutige grüne Einzelkämpfer, etwa beim Kampf gegen Hundehaufen in Berlin