Wo saniert wird, geht der Rausch

SCALA, ADE Das Scala am Oranienburger Tor feierte sein letztes Wochenende. Die Junior Boys kamen, auf dass die Begräbnisfeier würdig begangen werde

Sodom und Gomorrha haben dichtgemacht. Das Scala, schön kaputter Club am Oranienburger Tor, Lieblingsort rauschfreudiger Teens und Twens, hat am Wochenende das Zeitliche gesegnet. Zum Abschluss einer erfolgreichen Clubgeschichte gab es noch mal Gedränge auf allen Ebenen, vollgepackte Floors und ein Clubkonzert der Junior Boys. Das schon vorab ausverkauft war, was zumindest vor dem Konzert einiges an Gedränge sparte.

Die Junior Boys kommen aus Kanada und sind ein Zehn-Tage-Bart tragendes Duo, das Clubmusik als Clubmusik mit Gesang und gelegentlicher Gitarre macht. Live haben sich Jeremy Greenspan, der an Wayne Coyne von den Flaming Lips erinnert oder gleich an Barry Gibb, und sein Kollege, der Dauerraucher Matt Didemus, mit einem Schlagzeuger verstärkt. Der Sound war angenehm fett und wies die Dynamik und den Groove auf, den Clubmusik live haben sollte.

Greenspans Gesang, angenehm unexaltiert wie überhaupt die ganze Musik der Junior Boys, strömte warm durch den Raum, hätte aber auch etwas lauter sein können. Der Raum: Die Junior Boys haben in dieser Freitagnacht erlebt, was ein Clubkonzert ausmacht. Sie standen quasi mitten im Club, was für viele Gäste nicht unbedingt günstig war. Andere konnten jeden Staubpartikel verfolgen, der vom angeschlagenen Becken auf und wieder ab hüpfte, jede Schweißperle auf dem Nacken des Gitarristen und gelegentlich auch Keyboard spielenden Greenspan. Oder sie konnten Didemus dabei zusehen, wie er fleißig von Zigarette zu Bierflasche und zurück wechselte und nebenher so unaufgeregt wie möglich und ohne das sonst übliche Mitwippen zum Takt an Knöpfen drehte, Samples raushaute oder ein paar Tupfer und Akkorde auf dem kleinen Synthesizer spielte.

Man war also dabei. Stand man abseits, war man auch dabei: bei den Körpern und Köpfen der anderen, dem Schweiß, dem Geruch, dem Rempeln, Stoßen, Hüpfen und Wippen. Es war eine freundliche Feieratmosphäre.

Und das, obwohl die Junior Boys, deren neue, dritte Platte „Begone Dull Care“ heißt und bei Domino erscheint, zwar Clubmusik machen, aber keine stumpfe, sofort kickende; sondern eine, die intelligent arbeitet, sich aufbaut und verdammt gelassene Kreise ziehen kann. Clubmusik für den Liegestuhl am Pool, während im Hintergrund die ersten Flammen aus dem Hotelzimmerfenster schlagen. Clubmusik, zu der man schön schweigen möchte. Diese Musik ist laid back. Zuweilen ist sie sogar einlullend – kommt aber immer wieder mit wirklich schönen Passagen um die Ecke.

Nicht umsonst sind sie mit Caribou befreundet. Die Junior Boys, die von Freunden des schrecklichen Vergleichs gern auch als mindestens bisexuelle Variante zu Bronski Beat oder einfach als elektronische Version von XTC gesehen werden, machen Clubmusik an der Schnittstelle zum Indie-Psychedelischen. Oder, vielleicht besserer Vergleich, sie sind die ersten Söhne der Pet Shop Boys. Nur deren Wirkmacht haben sie noch nicht erreicht, dafür sind sie aber trockener im Sound und in den besseren Clubs zuhause.

Das Scala jedenfalls erlebte ein ehrwürdiges Schlusskonzert. Zeit zur Reflexion blieb kaum: Unten öffneten sich die Schleusen für das vom Konzert ausgesperrte Volk, oben drehten die DJs (u. a. Filthy Dukes, auf dem Oberdeck Brace Paine von The Gossip) die Regler auf. Das Gebäude ist verkauft, demnächst wird saniert. Welcher Club in die Fußstapfen des Scala, dieser Berliner Version eines gut bespielten, mächtig abgerockten Strandclubs für Menschen bis 26, treten kann, muss sich erst noch herausstellen. Die Karawane, der Rave-Nachwuchs zieht weiter. So oder so. RENÉ HAMANN